Mittendrin dabei – Demenz im Mehrgenerationen-Wohnprojekt

von | 28. Februar 2025 | Miteinander leben, streiten, wachsen

Laut Deutscher Alzheimergesellschaft lebten 2024 in Deutschland 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Bis 2050 könnte sich die Zahl angeblich verdoppeln. Das Leben und Wohnen mit Menschen mit Demenz ist eine große Herausforderung. Unsere Blogautorin macht in ihrem Mehrgenerationen-Wohnprojekt erste Erfahrungen damit.

„Ich gehöre hier hin und hier bleibe ich“, sagte sie, als sie aus dem Taxi ausstieg, mit dem sie eines Tages überraschend vor unserem Mehrgenerationen-Haus vorgefahren kam und dem Fahrer eine dicke Summe für die weite Strecke in die Hand drückte. Auf eigene Faust war Helene aus dem Altenpflegeheim vom Land zurück in die Stadt geflohen. Ihre Angehörigen hatten sie nach der Demenz-Diagnose und einigen Stürzen dorthin gebracht. Schnell bildete sich nun ein kleiner Kreis engagierter Nachbarinnen, entschlossen, einen weiteren Heimaufenthalt zu verhindern.

 

„Ob das gut geht?“ dachten einige der 100 Nachbarn unsere Wohnprojekts. Man nahm Helene täglich zu Morgenspaziergängen mit, lud sie zum Essen und schaute nach ihr, ob sie genug aß und trank. Mit den Nachbarskindern scherzte sie gern und fühlte sich nie gestört, wenn die Kleinen mit Rollern und Bällen über den Laubengang vor ihrer Wohnung polterten – vielleicht auch, weil sie ihr Hörgerät kaum trug. Um Finanzen und rechtliche Dinge kümmerte sich ein Berufsbetreuer und morgens und abends kam ein ambulanter Dienst.

 

 

Ich freute mich jedes Mal, unserer „Ausreißerin“ in den weit verzweigten Fluren zwischen den 62 Wohnungen zu begegnen, wo sie gemächlich und zielsicher mit ihrem Rollator zwischen Aufzügen und Etagen schlurfte. Sie ging sogar wieder alleine einkaufen.

 

Nach ihrem Wohlergehen befragt, erklärte sie mir einmal strahlend : „ Ich habe früher in einem ähnlich großen Haus mit vielen Menschen gearbeitet, das mag ich. Und ich kann hier machen, was ich will, so wie in meinem ganzen Single-Leben. Das ist doch wunderbar!“ Sogar einer ihrer früheren Kollegen wohnt hier.

 

Dann gab es einen Sturz mit Brüchen und Operationen. In der anschließenden Kurzzeitpflege starb unsere lebensfrohe Nachbarin mit 76 ganz schnell nach einer Lungenentzündung. Mit Kerzen standen wir im Trauerkreis im Garten, zusammen mit den Kindern, die Helene so liebten. Vorbei war es nun mit den gemütlichen Fernsehrunden in ihrer Wohnküche und den großzügig verteilten Naschereien. Wir verabschiedeten Helene im Friedwald, erleichtert, dass ihr ein Heimaufenthalt erspart blieb. Sie ist die erste unter einer Linde in Ebermannstadt, an der auch mein Platz sein wird, im Kreis von Nachbarinnen, die sich den Baum teilen.

 

 

Bei zwei weiteren Nachbarn zeigte sich über die letzten Jahren eine Demenz. Der eine arbeitet gern unter Anleitung seiner Freundin im großen Garten des Hauses. Mit trockenen, treffsicheren Bemerkungen bringt er uns oft zum Lachen. Den anderen Mann sieht man kaum mehr. Seine Frau, selbst gehbehindert, begleitet ihn liebevoll. Ihr helfen Nachbarinnen mit Einkäufen.

 

Inzwischen sind die Skeptiker überzeugt: Man ist bei uns auch mit Demenz gut aufgehoben, wie mit Autismus, Multipler Sklerose und Down-Syndrom. Es ist machbar, was wir bei der Gründung des Projekts beschlossen: Wir übernehmen keine Pflege, doch unterstützen uns, Hand in Hand mit ambulanten Diensten und Angehörigen. Jetzt zitiere ich öfter den Satz, den Helene sagte, wenn mal wieder gemeckert wurde über dies und das: „Wir haben es doch so schön hier!“

 

 

 

 

Beratungsstellen rund um Demenz in Nürnberg:

https://www.angehoerigenberatung-nbg.de/
https://pflegestuetzpunkt.nuernberg.de/beratungsangebote/demenz/

Plattform für gemeinschaftliches Wohnen in der Region und Bayern:
Der Hof e.V. – Wohnprojekte Alt und Jung Nürnberg
https://wohnprojekte.org/

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