Hilfe, mein Kind ist spießig
Seid ihr auch schon von euren Kindern ermahnt worden? An Regeln und Werte erinnert, die euch nicht wichtig oder unmodern erschienen? Wundert ihr euch, dass euer Kind konservativer denkt als ihr selbst? Das hat Gründe.

Wenn meine Tochter zu mir sagte: „Wie läufst du wieder rum?“ zuckte ich jedes Mal innerlich. Um die Pubertätsphase herum fing es an. Sie kritisierte meine Kleidung. Diesen Satz hatte ich nicht mal von meinen Eltern gehört. Ich war empört, denn ich zog mich zwar oft ungewöhnlich an, doch geschmackvoll und ordentlich.
Später bekam ich von eben diesem „Kind“, das nun erwachsen war, einen Satz entgegengeworfen, der mich schmerzte: „Tu lieber etwas, das Geld bringt“. Ich hatte Anerkennung erwartet, als ich stolz ein druckfrisches Buch-Exemplar auf den Tisch legte, in dem ein Beitrag von mir erschienen war – ohne Bezahlung. Tochters Hinweis kam mir wiederum von meinem Vater bekannt vor, dem wichtig war, dass ich etwas „Anständiges“ und gut Bezahltes arbeite.

Auch jüngere Kinder ermahnen ihre Eltern. Manche fordern gesunden Salat statt des Schweine-Schnitzels, erinnern an saubere Mülltrennung oder gar Schlafenszeiten und bestehen auf den anstrengenden Wanderweg, den sie oft mit Opa gingen.
Eine Familientherapeutin erklärte mir das so: „Kinder sind konservativ, sie mögen es, wenn alles gleichbleibt, sie lieben Wiederholungen und suchen Orientierung. Kinder wollen Bücher 100-mal vorgelesen bekommen, bis sie sie auswendig können, weil ihnen das Sicherheit gibt.“
Dann gibt es noch die Phase, die wohl alle Eltern kennen: Ihre Kinder finden sie „peinlich“, egal was sie tun oder lassen. Das gehört zur Abgrenzung in bestimmten Entwicklungsstufen. Da sagt der Sohn: „Mama, dein Ausschnitt ist zu tief für dein Alter.“

Was mich schon seit Langem wundert: Viele junge Paare planen eine klassische Hochzeit, obwohl es inzwischen Beispiele für glückliche Lebensmodelle jenseits der Institution Ehe gibt.
Eine Jugend-Studie ergab, dass über 90 Prozent der Befragten die Werte „Respekt“, „Zusammenhalt“, „Sicherheit“ und „Leistung“ als positiv einstuften. Andere Umfragen zeigen eine Vorliebe für Tugenden wie „Ordnung“, Fleiß“ und „Pflichtbewusstsein“ sowie „Treue“ und „Verantwortung“. Besonders betont werden: „Bildung“, „Umweltbewusstsein“ und „Familiensinn“. In einer immer komplexer werdenden und teils bedrohlichen Welt suchen junge Menschen offenbar nach Halt in traditionellen Werten.

Vielleicht hätte sich meine Tochter sicherer gefühlt, wenn ich immer die gleichen eintönigen Klamotten getragen und keinen Tantra-Atem-Workshop besucht hätte. Inzwischen erlebt sie selbst Kritik an ihrem Tun von ihren pubertären Zwillingstöchtern. Das Gemecker der Kindern an uns Eltern kann schon sehr frustrieren. Doch manchmal gibt es eine Auflösung, auch wenn es lange dauert. Mit 40 entdeckte meine Tochter in einem Coaching, dass sie im Falle meines Kleidungsstils nur neidisch war, weil ich mich nicht drum scherte, wie andere mein Aussehen finden, wenn ich trage, was mir Freude macht. Sie hätte sich das gerne auch getraut, doch versteckte sich hinter dem aktuellen Mode-Diktat. Nach diesem Geständnis konnten wir gemeinsam darüber schmunzeln und sagen uns heutzutage viel öfter, was wir aneinander mögen.
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