Warum ich (immer noch) in einem Wohnprojekt lebe

von | 10. Mai 2024 | Freizeit!!!, Miteinander leben, streiten, wachsen

Dies Jahr feiern wir 10-jähriges – mein Wohnprojekt und ich. So lange lebe ich nun schon mit 100 Nachbar*innen im Mehrgenerationen-Haus im Nürnberger Osten. Über meinen Einzug hatte ich 2013 in einem Artikel im „Straßenkreuzer“ geschrieben, dass ich mich bei der Unterschrift des Mietvertrags wie bei einer Eheschließung fühlte – freudig aufgeregt, doch mit gemischten Gefühlen und dem Gedanken: Ob das wohl gut geht?
Trotz allem war es für mich einfach dran, etwas Neues zu probieren. Nach 16 Jahren Single-Leben, einem früheren Familienleben mit Ehemann und Kind in einem Haus mit den Schwiegereltern, einer Phase als Alleinerziehende mit Kind sowie einem abgebrochenen Wohnversuch mit einem neuen Partner. Da musste es noch was anderes geben, was nachhaltiger ist.

Obwohl mein Single-Leben gut vernetzt und nicht einsam war, sehnte ich mich nach einer Gemeinschaft. Meine Devise war: lieber mit 100 Menschen als mit einem einzelnen leben. Eine „Zweierkiste“ in einer Wohnung schien mir zu einseitig. Und meine Freundinnen mit WG-Wünschen waren unschlüssig. Die Vorstellung, nach einer Trennung von einem möglichen neuen Partner im Schoß einer Gemeinschaft zu sein, beruhigte mich. Mit Blick auf urtümliche Dorfgemeinschaften in anderen Erdteilen schien mir eine solche Lebensform gesünder als unsere Konzepte von Kleinfamilie oder Single-Leben.

Ich schloss mich über die Organisation Hof e.V. dem Wohnprojekt an. 2 Jahre Planung mit einer Kerngruppe brauchten Durchhaltevermögen. Mit einem zusammengewürfelten Haufen von Menschen beschloss ich eine Art „Vernunftehe“ einzugehen. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Das einzig Gemeinsame schien mir unser Wunsch nach einem Alltag mit Kontakt und gegenseitiger Unterstützung. Und das funktioniert bis heute am besten.

 

Doch nach 10 Jahren mit Aus- und Zuzügen, Todesfällen, incl. Corona-Jahren und allerlei Konflikten ging uns irgendwie das WIR verloren. Es war eben wie in mancher Ehe. Nach erster Euphorie beim Einrichten des Hauses folgt Stress durch unterschiedliche Vorstellungen vom gemeinsamen Leben. Verletzungen häufen sich. Öfter dachte ich: Ich halte das nicht mehr aus, ich will hier raus! Wie in einem „Dschungel-Camp“, auf engem Raum konfrontiert mit menschlichen Abgründen und eigenen Grenzen. Unser Versuch, vor 2 Jahren mit Hilfe eines externen Coachs neu zu starten, ergab neuen Frust – wenn wir Veränderung wollen, braucht es noch viel Kommunikation – und genau die ist oft am schwierigsten.

 

Und ein Teil der Nachbarn sagt: Uns geht es doch gut hier. Wir haben komfortable energiesparende Wohnungen und Ansprache. Ein anderer Teil wünscht mehr Miteinander, mehr Wertschätzung, mehr gemeinsamen Geist.
Unseren Kindern geht es hier wohl am besten – sie genießen einen schönen Spielplatz im üppig wachsenden großen Garten.

 

Wie auch immer das hier weitergeht, mein JA zum gemeinschaftlichen Wohnen bleibt. – ich kann es mir nicht mehr anders vorstellen. Nie mehr möchte ich allein und anonym wohnen. Ich habe die volle Vielfalt an Möglichkeiten – und an Ärgernissen. Die nehme ich nach 10 Jahren inzwischen als Chance zur Friedensarbeit, die nur im Alltag beginnen kann. Manchmal ein Knochenjob – inmitten der Schatten unser aller Macken. Dahinter all das zu finden, was uns verbindet, lässt mich immer wieder aufatmen.

 

 

 

Und ich habe gelernt, alles was ich hier vermisse, muss und kann ich selbst ins Leben rufen. So habe ich einen Hörkreis gegründet, in dem wir uns nur zuhören, ohne Kommentar und Bewertung. Ich lerne Menschen dabei ganz neu kennen und merke, die ticken ja ähnlich wie ich, obwohl ich dachte, die seien ganz anders. Ich stelle mir dennoch eine kleinere Gemeinschaft entspannter vor, mit mehr Nestwärme und Ruhe, weniger Verkehrslärm und mit besserer Luft. (Wer das liest und etwas weiß, bitte melden). Wo auch immer ich mein Alter gestalte, eins bleibt Bedingung: Meine Freunde müssen meinen „Anhang“ mögen. Mich gibt´s nur mit Wohnprojekt.

 

 

Martha-Wohnprojekt:

Wohnprojekt Marthastraße

 

Der Hof e.V.:

https://wohnprojekte.org/

 

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Bildnachweis: Copyright: Karin Charlotte Melde