Liebst du mich?
Wer kennt sie nicht, diese Frage – Frauen, Kinder, Männer tragen sie im Herzen. Von Geburt an sind wir darauf angewiesen, geliebt zu werden. Wer Liebe vermisst, gerät in Zweifel und Angst. Manchmal erzeugen unsere Gedanken die Vorstellung: Keiner liebt mich.
Solche Gedanken sind zutiefst menschlich – von fürsorgender Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein, war in früheren Zeiten existentiell bedrohlich. Kinder sind abhängig von der Liebe ihrer Eltern und selbst moderne unabhängige Singles tragen die Urangst des Verlassen seins in sich und damit die Frage: Liebst du mich?
Meist reicht kein Ja als Antwort, es braucht „Beweise“, Taten, die uns spüren lassen, geliebt zu sein. Doch was brauche ich, um mich geliebt zu fühlen? Jede Woche einen Blumenstrauß oder tägliche Umarmungen? Braucht das Kind mehr Lob oder nur das Leuchten in den Augen der Eltern? Was vermisse ich, wenn ich mich nicht geliebt fühle?
Dazu eine Geschichte, mit der Kommunikations-Experte Marshall Rosenberg sein Publikum weltweit zum Lachen bringt – hier in verkürzter Version:
Die Ehefrau fragt ihren Mann: „Liebst du mich?“
Er hakt nach: „Meinst du damit dieses warme, weiche Gefühl? Und meinst du JETZT?“
Die Frau: Ja!
Der Mann: Dann liebe ich dich jetzt im Moment nicht – frage mich später noch mal.
Aha! Das Gefühl von Liebe ist flüchtig und wechselhaft, wie alle Gefühle. Rosenberg sah deshalb Liebe als Bedürfnis. Was wir für dessen Erfüllung brauchen, liest uns meist keiner von den Augen ab. Wir müssen es aussprechen. Statt mit „Liebst du mich?“ Ratlosigkeit und frustrierende Antworten auszulösen, gehe ich auf Spurensuche, nach dem, was ich wirklich brauche, um Liebe zu empfinden und empfangen.
Zum Beispiel kann eine Frau feststellen: Ich bin sehr erschöpft und sehne mich nach Nähe, Entspannung, Unterstützung, Zweisamkeit, Streicheleinheiten. Ich frage mal meinen Mann, ob er mit mir den Abend verbringen will.
„Puh, ich bin heute ganz k.o., weil ich die Woche so viel allein schaffen musste. Ein Abend zu zweit täte mir jetzt gut. Wollen wir zusammen kochen und es uns danach gemütlich machen?“ (wobei sie klar haben sollte, was sie unter „gemütlich“ versteht, denn das ist für jeden anders).
Im besten Fall trifft ihre Idee auch die Bedürfnisse des Mannes und beide haben einen liebevollen Abend. Wenn der jedoch zu gar nichts von dem Lust hat … ja dann … ist das noch lange kein Zeichen, dass er seine Frau nicht liebt. Mit seinem Nein zeigt er ein Ja zu sich selbst. Beide können darüber in Dialog gehen. Wenn der Mann Ja sagt, braucht es weitere Einigungen, damit sich alle Wünsche der beiden erfüllen.
Kinder zeigen uns ihr Liebesbedürfnis unmittelbarer – sie springen auf den Schoß, rennen uns nach: „Mama schau mal!“. Oder sie schreien im Geschwisterkampf lauthals: „Immer geht es nur um meine Schwester, was ich mache, ist doch allen egal!“ Auf diesen Schrei nach Liebe einzugehen, braucht es (besonders im pubertären Alter) dann schon viel Geduld, um die Verbindung zum Kind zu bekommen und nicht nur die Tür auf die Nase, mit dem Satz: „Lass mich in Ruhe!“, der wiederum ein Ausdruck von Verzweiflung ist, nach dem Motto: Ihr versteht mich sowieso nicht!
Gemeinsam herauszufinden, wie wir uns Liebe zeigen können, ist ein wunderbarer Prozess, uns näher zu kommen. Denn Liebe besteht aus einem ganzen Paket von Bausteinchen, die so bunt und zahlreich sind, wie die Vielfalt von Gefühlen und Bedürfnissen in uns Menschen. Nur wenn ich mich mit meinen Wünschen zeige, bekomme ich immer öfter, was ich brauche.
Bildnachweis: Adobe Stock, Doris Reinecke
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