Wenn Perfektion die Liebe stört
Wer will nicht gern eine super Mama sein und alles besser machen, als es den eigenen Eltern gelungen ist? Wenn es um Perfektion geht, bin ich immer ganz vorne mit dabei – eine echte Streberin.
Solange ich denken kann, interessiere ich mich dafür, wie wir uns menschlich weiterentwickeln und heranreifen können. Daß Persönlichkeitsentwicklung sich gerade zu einem neuen Lifestyle-Trend entwickelt freut mich also sehr, denn plötzlich begegne ich viel häufiger Menschen, mit denen ich mich über das unterhalten kann, was mich so brennend interessiert.
Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich im Café mit einer Gruppe junger Mütter. Sie alle erzählten, dass sie sich von dem großen Angebot an Kursen fast erschlagen fühlten. Dahinter standen Fragen wie: Was für eine Mutter bin ich, wenn ich das große Optimierungsangebot nicht in Anspruch nehmen möchte? Ist das egoistisch? Wird mein Kind sich dann schlechter entwickeln? Eine Frau erzählte mir von einem Blog, den sie gerade aufmerksam verfolgt. Die junge Frau, die dort jeden Tag Fotos von sich an wunderschönen Orten und Ratschläge für ein glückliches Leben postet, wirkt strahlend und frisch. Es erscheint fast so, als müssten wir uns nur genug Mühe geben und schon wären alle unerwünschten Gefühle verschwunden. Die drei anderen Mütter am Tisch verdrehten die Augen. Eine sagte: „Ja, solange man keine Kinder hat, ist das ja auch leicht!“
Ich fühlte mich an einen Moment vor ein paar Jahren erinnert, als mir der Begriff der „ausreichend guten Mutter“ begegnete. Mir ging es nach der Geburt unseres Sohnes ganz ähnlich wie den jungen Frauen, die jetzt vor mir saßen. Ich hatte das Gefühl, als müsste ich schon erkennen, was mein Sohn brauchen könnte, bevor er das selbst überhaupt wusste. Der Brei musste selbst gekocht sein, die Windeln aus Stoff. Wir haben es als Eltern damals ziemlich übertrieben, denn unser Anspruch ging zu Lasten unserer Ressourcen. Das war unglaublich anstrengend und oft genug war ich viel mehr auf die Aufrechterhaltung dieses Systems konzentriert, als ich die Liebe zu unserem Sohn so richtig fühlen und genießen konnte. Als ich dann, leider Jahre später, mit Donald Winnicotts Arbeit zur Beziehung zwischen Mutter und Kind in Berührung kam, erkannte ich das. Er beschreibt es in etwa so: Ein Baby erlebt sich in den ersten Monaten nicht als eigenständiges Wesen, sondern als verschmolzen mit seiner Mutter. Das, was das Baby also neben Nahrung und Pflege braucht, ist, dass es sich nie komplett verlassen fühlt. Mit der Zeit löst sich die Mutter von ihrem Kind und dieses kann sich dadurch als eigenständiger Mensch erleben und nach und nach lernen, eigene Wege zu gehen. So lebt es sich mit einer ausreichend guten Mutter ganz gut und die Entwicklung wird nicht gestört.
Wenn die Mutter aber überfürsorglich ist und, wie in meinem Falle, dem Kind alle Wünsche von den Augen ablesen möchte, dann ist das viel zu viel. Wird es gefüttert, bevor es seinen Hunger spürt, hat es nicht die Chance, seine eigenen Gefühle zu entdecken. Es lernt auch nicht, eigene Versuche zu unternehmen, mit diesem Gefühl umzugehen. Ein Kind, das zu häufig etwas erhält, bevor es selbst danach verlangt, reagiert irgendwann mit Abwehr. Es fühlt sich beschnitten und versucht, sich Raum zu schaffen, um eigene Gefühle zu erleben. Es schiebt seine Mutter weg. Dadurch fühlt sich die Mutter abgelehnt und versucht vielleicht umso mehr, dem Kind entgegenzukommen und seine Wünsche zu erfüllen. Manchmal erleben wir so etwas auch als Erwachsene. Wenn wir etwa irgendwo zum Essen eingeladen sind und ungefragt immer das Glas aufgefüllt bekommen oder wenn sich Freunde übermäßig in unsere Angelegenheiten einmischen…
Ich habe schon in früheren Artikeln davon berichtet, wie schwer es mir noch immer fällt, meinem inzwischen achtjährigen Jungen genug Freiheit für seine eigenen Wege zu geben. Es irritiert mich auch, wenn Schulkinder von ihren Eltern noch abgeholt werden und gleichzeitig kommt immer wieder die Frage auf „Bin ich gut genug? Fehlt ihm auch nichts? Wie merke ich, wenn ich zu wenig für ihn da bin?“ Vielleicht ist der Zweifel einfach der traditionelle Begleiter liebender Eltern. Genau wie wir selbst, brauchen unsere Kleinen genug Raum, um sich zu entwickeln. Wir dürfen uns als Mütter darauf verlassen, dass wir schon alles mitbringen, was unsere Kinder brauchen. Ich denke, es kommt viel weniger darauf an, was wir tun, als darauf, wie spürbar wir uns ihnen zuwenden. Alles ist in ständigem Wandel und deshalb können wir auch Freude, Leichtigkeit und Zuversicht nicht festhalten. Das macht nichts. Jedes Kind kennt schwache Momente, Lustlosigkeit, Müdigkeit oder schlechte Laune. Wenn es uns nicht gut geht, können wir ihnen das einfach sagen, ohne ihnen die Verantwortung dafür zu übertragen. Manchmal sind wir lustig, manchmal sind wir einfach langweilig und manchmal sind wir auch ungerecht. Mit einem klaren „Ja“ zu dem, was gerade wirklich da ist, kann Nähe entstehen.
So verlieren wir nicht mehr wertvolle Energie beim Versuch eine Maskerade aufrecht zu erhalten und unsere Kinder lernen von uns das es völlig in Ordnung ist, nicht jeden Tag gut drauf zu sein und eine perfekte Performance abzuliefern.
Mein Sohn hat mir übrigens mal verraten, wie er die Eltern seiner Schulkameraden einschätzt, die ihre Kinder nicht allein ihre Wege gehen lassen:
„Mama, das sind einfach Eltern, die ihren Kindern nicht vertrauen.“
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