Weihnachten in der Familie
Bald ist Weihnachten. Ich erkenne das immer daran, dass eine Flut von Emails mein Postfach überschwemmt und ich mich plötzlich mit Begehrlichkeiten konfrontiert sehe, von denen ich vorher noch gar nichts gewusst hatte. Man kennt mich besser als mir lieb ist. Ich hinterlasse verräterische Spuren, wann immer ich eine Suchmaschine benutze. Wäre ich nicht Mutter geworden, hätte ich Weihnachten vermutlich längst abgesagt. Geschenke kaufen, ja niemanden vergessen, Onlineshopping und völlig ausgelaugte Paketzusteller. Das ist für mich das Gegenteil von Besinnung und Stille.
Wir sind eine ganz kleine Familie. Nur drei Menschen, die zwischen Schichtdiensten und Alltagsaufgaben jedes Jahr aufs Neue versuchen, einen Augenblick alles Andere auszublenden und ein friedliches, schönes Weihnachtsfest zu feiern. Unser Ritual beginnt mit dem selbstgebastelten Adventskranz, der streng traditionell gestaltet werden muss, seit unser Sohn mitmacht.
Für unseren Weihnachtsbaum ziehen meine Männer seit einigen Jahren gemeinsam mit der Säge in den Wald. Über das Forstamt werden Termine bekanntgegeben, an denen überschüssige Bäume zu diesem Zweck geschlagen werden dürfen. Das ist inzwischen ein Ausflug für alle Sinne, denn im vorletzten Jahr hatten wir einen Baum zu Hause, der einen sehr ungewöhnlichen und fast schon narkotisierenden Duft mitbrachte. Wir wuschen den Stamm, entfernten die Rinde, verwendeten sogar chemische Hilfsmittel, aber das half alles nichts. Unser Baum stank! Es brauchte einige Tage bis wir begriffen: ein Wildschwein hatte die kleine Fichte markiert. Zum Glück gab es noch einen weiteren Termin, denn einen heiligen Abend ohne Weihnachtsbaum hätte unser Großer nur unter Tränen hingenommen. Nun wird im Wald also zunächst die Härte der Nadeln geprüft. Die Wuchsform ist natürlich auch sehr wichtig und zu guter letzt wird der gesamte Stamm ausgiebig berochen. Wir schmücken den Baum alle gemeinsam und versäumen es nie, auch noch etwas neuen Schmuck zu basteln und Plätzchen zu backen.
So füllen wir die Vorweihnachtszeit mit gemeinsamen Projekten. Wenn es dann endlich soweit ist, lassen mein Mann und ich uns nur zu gern von unserem Sohn mit der Weihnachtsstimmung anstecken. Wir sind meist schon sehr früh wach und frühstücken ausgedehnt. Ein Ausflug in den Wald ist auch meistens drin und vielleicht noch ein Besuch im Kino am Nachmittag. Je nach Laune gehen wir zum Singen in die Kirche oder wir zelebrieren das für uns zu Hause. Gesungen wird immer, da sind wir uns einig und es rührt mich jedesmal. In den letzten Jahren haben wir nach dem Abendessen einen Spaziergang gemacht, das Fenster geöffnet und einen Teller mit selbst gebackenen Plätzchen aufs Fensterbrett gestellt.
Kamen wir dann zurück, lagen die Geschenke unter dem Baum und es lief Weihnachtsmusik. Im ganzen Zimmer waren die Kerzen erleuchtet. Beim Betreten der Wohnung sah ich immer mit Herzklopfen ins Gesicht unseres Sohnes. Unser Großer ist jetzt acht Jahre alt und hat noch immer keinen Zweifel. Und ich merke, dass ich langsam Skrupel bekomme. Ich liebe diese geheimnisvollen Phänomene, die Weihnachten eine ganz besondere Magie verleihen. Aber was, wenn der Schwindel auffliegt? Sollten wir uns dieses Jahr vielleicht einfach erwischen lassen?
Eines ist klar. Sobald es den Weihnachtsmann nicht mehr in unserem Leben gibt, wird sich etwas unwiderruflich verändern. Vielleicht ist das für uns Erwachsene schwieriger anzunehmen als für unseren Sohn…
Bildnachweis: Rawpixel
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