„Was bleibt? Was werden wir aus der Krise an Positivem lernen?“

von | 18. Mai 2020 | Miteinander leben, streiten, wachsen, Sagen Sie mal…

Wie alle Beratungsstellen ist auch der Krisendienst Mittelfranken von der Corona-Pandemie und ihren Folgen seit Mitte März betroffen. Ralf Bohnert, der Leiter des Krisendienstes, berichtet uns darüber:


„Wir konnten über mehrere Wochen hinweg nur telefonisch oder online beraten und tagtäglich mehr spüren, was diese Einschränkung für Grenzen in unserer Beratungsarbeit setzt. So schnell wie möglich wollten wir wieder persönliche Gespräche in unseren Räumen in der Hessestraße 10 anbieten.“

Das ist nun seit dem 1. Mai wieder möglich, allerdings nur unter folgenden Bedingungen:
  • Nur nach telefonischer Anmeldung,
  • nicht mehr als eine Person (mit Mund-Nasenschutz),
  • keine Person mit Erkältungs-/Infektsymptomen.

„Aber auch diese Rahmenbedindungen sind für Viele gewöhnungsbedürftig. Eine Klientin teilte uns zum Beispiel mit, sie freue sich sehr, dass sie nun wieder in die Beratungsstelle kommen dürfte,“ erzählt Ralf Bohnert, „aber eine Begegnung hinter Masken wäre für sie nicht möglich. Das bedeute für sie ein Trigger, der schlimme Erinnerungen wachriefe“.

Doch nicht nur für psychisch vorbelastete Klienten seien die neuen Rahmenbedingungen manchmal hart – auch BeraterInnen selber täten sich mit den neuen Abstandsregeln hier und da schwer: „Aber man gewöhnt sich auch daran, denn sie sind ja nun an vielen Orten neuer Alltag, ob beim Arztbesuch oder beim Behördengang.“

Aktuell bereitet sich das Krisendienst-Team darauf vor, auch Videotelefonie nutzen zu können, sodass ein Beratungsgespräch am Bildschirm stattfinden kann: „Dann sieht man zumindest Mimik und Gestik des Gegenübers, was ein Gespräch erleichtern kann“. Demnächst soll es bei Bedarf auch wieder Hausbesuche geben.

„Die Inanspruchnahme des Krisendienstes hat seit Beginn der Coronakrise um 15 Prozent zugenommen

– obwohl wir aktuell keine Hausbesuche machen. Onlineberatung wird eindeutig stärker in Anspruch genommen. Bei etwa 90 Prozent der Klientenkontakte spielt Corona mit rein – auch wenn das nicht der Grund der Kontaktaufnahme war.“ Ralf Bohner schätzt aber auch, dass bei 40 bis 50 Prozent der Klienten Folgen und Begleiterscheinungen der Pandemie Grund waren, sich an den Krisendienst zu wenden.

„Wir stellen fest, dass mehr familiäre Konflikte an uns herangetragen werden. Bestätigen kann ich nicht ausdrücklich eine Zunahme häuslicher Gewalt – da wären die Polizei und auch die speziellen Frauenberatungsstellen die besseren Adressaten. Aber häusliche Enge, Überlastung und Überforderung tragen eindeutig zu mehr familiären Auseinandersetzungen bei.“

„In unserem Blick ist aber auch das Thema Vereinsamung:

Gerade Menschen mit psychischer Beeinträchtigung versuchen wir ja an ihre Ressourcen im sozialen Bereich zu erinnern und daran, diese zu nutzen. Soziale Kontakte brachen nun aber für viele Menschen von einem Tag auf den anderen weg, ohne dass sie sich vorbereiten konnten.
Wir hören deshalb häufiger `Was gerade passiert, haben wir noch nie erlebt´. KlientInnen sind verunsichert, angespannt, unter Druck und besorgt.“

Eine Mitarbeiterin widmet sich speziell dem Kontakt zu älteren Hilfesuchenden in der persönlichen Beratung. Traumafachberatung ist ein weiteres Angebot des Krisendienstes, um zum Beispiel die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu verkürzen, wenn eine akute Traumaerfahrung vorliegt.

Der Krisendienst rechnet auch damit, dass er die Folgen der akuten Corona-Krise für seine KlientInnen verstärkt zu spüren bekommen wird:

„Hält meine Ehe? Wie komme ich aus einer finanziellen Notlage? Wohin mit meiner Existenzangst? Mit all diesen Fragen werden wir stärker konfrontiert werden.“

„Persönlich würde ich mir wünschen, dass nach Corona etwas bleibt von dem Positiven, das wir durchaus auch wahrnehmen in dieser schwierigen Zeit: Wir-Gefühl, Rücksichtnahme, Unterstützung füreinander,“ sagt Ralf Bohnert, „Werden wir einfach weiterleben wie vor Corona oder haben wir etwas aus der Krise lernen können? War der Tiefpunkt ein Wendepunkt, an dem hier und da auch ein Neuaufbruch möglich ist?“

Homepage: https://krisendienst-mittelfranken.de/
Telefon 0911 / 42 48 55 – 0

Aktuelle Infos zur Coronakrise unter: https://www.nuernberg.de/internet/stadtportal/coronavirus.html

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Bildnachweis: Krisendienst Mittelfranken, Ralf Bohnert, Karin Behrens