Wann wird aus Fürsorge Überwachung?
Früher lief das so: Hausaufgaben fertig, ab nach draußen in die Grünanlage und dann Stunden außerhalb der Reichweite unserer Eltern. Rein ging’s entweder, wenn es dunkel wurde oder irgendeine Mama vom Balkon aus gerufen hat, dass es Zeit ist fürs Abendbrot. Die Großen hatten das Sagen – manchmal haben sie auf die Kleineren aufgepasst, manchmal waren sie ein Vorbild, ein anderes Mal auch, dann aber ein schlechtes. Gelernt haben wir dabei auf jeden Fall eine Menge.
Heute läuft das anders. Treffen im Kindergarten- oder Grundschulalter? Ohne die Eltern, die alles organisieren und möglichst noch danebensitzen? Undenkbar. Wer mit wem, wann, wo und wozu – alles wird vorher genau abgesprochen. Spontan möchte noch ein Kind aus der Nachbarschaft mitspielen? Nein, leider, das war so nicht geplant. Und sollten die Kinder doch mal alleine losziehen, gibt’s ja zum Glück GPS-Tracker! Damit erfüllt sich für Eltern der Wunsch nach der lückenlosen Sicherheit. Wird der vereinbarte Radius verlassen, schrillt ein Alarm. Das Kind bekommt dann einen Anruf – wahrscheinlich mit einer Standpauke inklusive.
Dank GPS in Smartwatches, Anhängern oder Apps ist es wirklich einfach, jederzeit zu wissen, wo die Kinder stecken. Klar, das gibt Sicherheit, besonders wenn sie allein unterwegs sind oder sich in ungewohnter Umgebung bewegen. Und ist im Notfall super, um ein verirrtes oder in Schwierigkeiten geratenes Kind wiederzufinden. Keine Frage, Tracking hat seine Vorteile und kommt, laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom auch für mindestens 30 Prozent der Eltern infrage. Wobei das aber nicht ohne Einverständnis der Kinder passieren sollte. Denn auch sie haben – laut UN-Kinderrechtskonvention – ein Recht darauf, dass niemand willkürlich in ihr Privatleben eingreift. Nebenbei gesagt: Abhörfunktionen sind sowieso verboten.
Was auf den ersten Blick nach Sicherheit klingt, birgt allerdings auch Risiken. Eltern, die sich um den Datenschutz sorgen, tun das, einer norwegischen Studie zufolge, nicht grundlos. Fremde können die Kontrolle über GPS-Tracker erlangen und diese sogar manipulieren. Und schon wird aus dem Schutz eine Gefahr.
Aber die entscheidende Frage ist doch eigentlich sowieso: Ist das wirklich der richtige Weg? Was passiert mit dem Vertrauen, das wir unseren Kindern schenken sollten, damit sie an sich selbst glauben? Was ist mit Absprachen, auf die man sich verlassen kann? Und fühlt sich diese Dauerüberwachung nicht ein bisschen wie ein unsichtbarer Käfig an?
Wenn wir ehrlich sind, führt das Ganze zu einer entscheidenden Frage: Wollen wir eine Generation großziehen, die gelernt hat, sich nur innerhalb vorgegebener Grenzen zu bewegen, ständig beobachtet und kontrolliert? Oder geben wir unseren Kindern wieder die Freiheit, ihre Fähigkeiten zu entdecken, selbst zu denken, eigene Entscheidungen zu treffen und dabei auch mal Fehler zu machen?
Ich habe es jedenfalls versucht: Kein Tracking, viel Freiheit und jede Menge Eigenverantwortung. So weit, so gut. Aber was finde ich letzthin in den Tiefen meines Smartphones? Eine Wo-ist-App! Plötzlich ergibt alles Sinn. Ich weiß jetzt, warum mein Sohn immer genau dann angerufen hat, wenn ich das Bürogebäude verlassen habe. Oder wie meine Tochter wusste, dass ich auf dem Weg zur Uni falsch abgebogen bin. Aber damit ist jetzt Schluss! Die App ist deinstalliert, mein Handy hat einen neuen Code, und meine Freiheit, die ich schließlich von klein auf gewohnt war – die habe ich mir zurückerobert.
3 Kommentare
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Ich finde den Beitrag sehr nachdenklich und wirklich spannend, besonders weil ich als Mutter von zwei Kindern das Thema ständig in meinem Kopf habe. Die Versuchung, alles zu überwachen, ist groß, vor allem mit der ständigen Verfügbarkeit von GPS-Trackern. Aber genau wie du es beschreibst, möchte ich meinen Kindern auch das Vertrauen entgegenbringen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Letztens musste ich allerdings feststellen, dass meine Tochter heimlich eine Wo-ist-App auf meinem Handy installiert hatte, um zu wissen, wo ich bin – ich musste herzlich lachen, aber habe sie dann auch deinstalliert. Es ist eine Gratwanderung zwischen Sicherheit und Vertrauen, und ich werde weiterhin auf das Vertrauen setzen. Ähnlich wie bei unserer Katze – anfangs war es mir auch schwer gefallen sie nicht ständig zu überwachen, vor allem als sie anfing, nachts rauszugehen. Aber ich habe gelernt, dass sie, genau wie meine Kinder, ihre eigenen Entscheidungen treffen muss – auch wenn das bedeutet, dass ich sie manchmal nicht sehe.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!
Vielen Dank für das tolle Feedback!