Suppenkaspar oder Supertaster?

von | 17. Februar 2023 | Eltern werden, Eltern sein, Miteinander leben, streiten, wachsen

Wir alle kennen sie: die kleinen „Picky Eater“, die dies nicht mögen und das eklig finden und die, probiert man mal ein neues Rezept aus – eines mit fremden Gewürzen oder ungewöhnlichen Zutaten – mit Sicherheit beim Butterbrot landen. Gemüse wie Brokkoli wird komplett verschmäht, Kartoffeln gehen nur in Form von Pommes und Fisch höchstens als Fischstäbchen. Fünf Hände voll Obst und Gemüse täglich – so wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gerne hätte – davon ist das eine oder andere Kind meilenweit entfernt. Bis zu einem gewissen Grad ist das normal. Denn die meisten Kinder sind ab eineinhalb, zwei Jahren wenig aufgeschlossen gegenüber Mahlzeiten, die sie nicht kennen – und die nicht süß sind. Ein Schutz der Natur, denn ein sich von der Mutter entfernendes krabbelndes Kleinkind, das alles verspeist, was ihm in den Weg kommt, lebt ziemlich gefährlich.

Isst das Kind kaum oder nur sehr selektiv, sollte natürlich abgeklärt werden, ob körperliche Ursachen oder auch traumatische Erfahrungen dahinterstecken. Aber in der Regel besteht kein Grund zur Sorge. Zum einen können lebenswichtige Bausteine im Körper eine Weile gespeichert werden und zum anderen vergeht bei den meisten Kindern diese Phase genauso schnell wieder wie sie gekommen ist. Aber eben nicht bei allen. Die Wissenschaft spricht hier von den Supertastern: Kinder, die wirken wie ein kleiner „Suppenkaspar“, aber in Wahrheit über ein bestimmtes Gen verfügen, genauer gesagt das Gen TAS2R38, das es ihnen ermöglicht, über einen Rezeptor Bitterstoffe, aber auch andere Geschmäcker, Gerüche und Konsistenzen viel deutlicher wahrzunehmen – sozusagen wie unter einem Vergrößerungsglas. Es ist eine Gabe, die zu Zeiten der Neandertaler durchaus das Überleben sichern konnte, indem sie davon abhielt, doch noch mal in das hübsche rote Pfaffenhütchen zu beißen oder einen Efeublättersalat zu verspeisen.

Serviert werden haarige Raupen auf einem warmem Kuhfladen garniert mit grobkörnigem Sand in Kellerasselsud – ungefähr so muss sich ein Supertaster fühlen, wenn er etwas essen soll, was für ihn von Aussehen, Geschmack, Geruch und/oder Konsistenz her einfach nicht essbar ist. Das hat nichts mit Provokation zu tun, da handelt es sich nicht um Machtspielchen – das ist echter Ekel. Für das Umfeld nicht immer einfach zu verstehen. Das bekam auch Sonja Bischofsberger zu spüren, als ihr Sohn schon im Kindergarten nur Mettwurstbrote und Schnitzel gegessen hat. „Wir wurden sehr oft mit Vorwürfen und schiefen Blicken konfrontiert. Und mit Kommentaren wie ‚Den muss man nur mal richtig hungern lassen‘.“ Irgendwann war sie so verzweifelt, hatte solche Angst, dass dem Kleinen wichtige Nährstoffe fehlen, dass sie ihn wirklich so lange am Tisch sitzen ließ, bis er ein winziges Stück Kartoffel probiert hat. „Er hat gewürgt, geweint und sich schließlich übergeben. Es war schrecklich!“

Wenn der Nachwuchs nicht „richtig“ isst, das zubereitete Essen ablehnt, dann macht Eltern das Angst. Schließlich gehört es zu ihren Uraufgaben, ihr Kind so zu füttern, dass es wachsen und gedeihen kann. „Ich habe mir sehr viele Sorgen gemacht“, erinnert sich Sonja Bischofsberger. „Klassenfahrten zum Beispiel waren ein echtes Problem. Wir haben ihm immer einen großen Vorrat Mettwurst in die Tasche gepackt.“

In nicht so ausgeprägten Fällen finden die Familien die Möglichkeit, die Auswahl an Lebensmitteln ganz langsam zu erweitern. Funktioniert das nicht, leidet der kleine Supertaster stark darunter, gibt es zum Beispiel Probleme im Hort, dann kann eine Therapie sinnvoll sein. Dabei werden die Kinder ganz langsam an neue Geschmäcker herangeführt. So wie Aaron, der auch mit einem Minimum an Obst und Gemüse inzwischen ein 1,85 m großer, gesunder junger Mann ist. Und der, wenn er mit seinen Freunden unterwegs ist, sogar mal eine Pizza Margherita ohne Käse isst. Dass er sich dazu das ein oder andere Bier zu viel bestellen könnte – eine Sorge, die Sonja Bischofsberger zumindest nicht haben muss. Denn Bier schmeckt für Aaron wie … na, sagen wir einfach: Es schmeckt nicht. Und zwar gar nicht.

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