Partnerschaftsgewalt: Hinter verschlossenen Türen wartet auf viele das Grauen
14 Millionen Frauen in Deutschland haben bereits einmal Gewalt durch ihren Partner erfahren – wobei die Dunkelziffer hier deutlich höher liegen dürfte. Jeden Tag versucht ein Mann seine
(Ex-)Partnerin umzubringen, fast jeden zweiten Tag gelingt das auch. Alarmierende Zahlen. Wir haben uns mit Michelle Fowinkel unterhalten. Sie ist die stellvertretende Frauenbeauftragte in Nürnberg und maßgeblich an der Umsetzung des in diesem Jahr vom Stadtrat beschlossenen Gleichstellungsaktionsplans beteiligt. Ein Plan, der auf der sogenannten Istanbul-Konvention basiert, einem internationalen Abkommen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern, Opfer zu schützen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Häusliche geschlechtsspezifische Gewalt klingt nach schlagen – aber das allein ist es nicht, oder?
Das ist richtig, das bezieht sich nicht nur auf den körperlichen Aspekt, sondern schließt auch Handlungen mit ein wie verbale Gewalt, Schaffung von Abhängigkeiten und Kontrolle, digitale Gewalt, Stalking bis hin zu psychischer Gewalt wie unter Druck setzen oder Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Und das geht, wie Studien zeigen, quer durch unsere Gesellschaft, unabhängig von Bildung, sozialer Herkunft oder Religionszugehörigkeit.
Die Istanbul-Konvention wurde ja bereits 2011 beschlossen, im September dieses Jahres beschloss der Stadtrat den Gleichstellungsaktionsplan mit dem Schwerpunkt der Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in Nürnberg. Da liegen immerhin 13 Jahre dazwischen.
Woran liegt das?
Es dauert, bis alle Länder so eine Konvention ratifizieren. In Deutschland ist die Regelung seit 2018 in Kraft, vorher wurde beispielsweise noch das Sexualstrafrecht reformiert. Außerdem müssen so eine Konvention und ihre Inhalte erst bekannt sein, damit Aktionspläne für ihre Umsetzung erstellt werden können, sprich Politik, Gesellschaft, Strafverfolgung und Justiz müssen sensibilisiert werden. Allein die Erarbeitung der immerhin 218 Punkte des Gleichstellungsaktionsplanes hat drei Jahre gedauert. Auch deswegen, weil viele verschiedene Akteur*innen auch außerhalb der Stadtverwaltung mit eingebunden wurden: das Unterstützungs- und Hilfssystem etwa, das seine Bedarfe schildern konnte. Zudem musste eine Bestandsaufnahme gemacht werden: Was gibt es schon? Welche Zielgruppen werden noch nicht erreicht? Wie gut sind die bestehenden Angebote ausgestattet? Was fehlt? Und letztendlich gilt immer: Nur eine bekannte Konvention ist eine hilfreiche Konvention. Und das braucht Vorarbeit.
Was sind die wichtigsten Ziele des Aktionsplans?
Es geht in diesen insgesamt 218 Maßnahmen um Sensibilisierung, Information, Enttabuisierung, das Ermutigen von Betroffenen, sich an Hilfsangebote zu wenden, aber auch darum, die Fort- und Weiterbildung von Fachkräften zu intensivieren und Kooperationen zu bilden. Denn letztendlich ist das Ziel, einen reibungslosen Ablauf für Betroffene zu schaffen, die Zugänge niedrigschwellig zu halten und den Schutz umso höher. Auch möchten wir ansetzen, bevor Gewalt eskaliert. Da werden Fragen wichtig wie: Wie kann man junge Mädchen und Frauen stärken? Welche Formen von Prävention gibt es? Und wie setzt man diese Ziele von klein auf um?
Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, wissen oft gar nicht, wo sie sich hinwenden können. Was macht die Stadt hier, um diese Situation zu verbessern?
Der Dreh- und Angelpunkt sind die Beratungsstellen, die vertraulich und anonym beraten, auch online. Hier gibt es dann zum Beispiel einen Button auf der Webseite, der verhindert, dass ein Besuch der Seite nachvollzogen werden kann. Die Beratungsstellen helfen dabei, die Situation einzuordnen, zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, auch rechtlich. Dabei wird opferzentriert beraten, das heißt, die Betroffenen entscheiden, was sie tun möchten. Zudem haben wir uns zahlreiche Möglichkeiten überlegt, wie wir die Informationen verbreiten und setzen neben Workshops in Schulen überall da an, wo Menschen mit der Stadt in Berührung kommen. Am 25.11. etwa, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, verteilen wir unter anderem über Bäckereien und Apotheken Informationen über die Tüten. Wir drehen an vielen kleinen Stellschrauben, um so möglichst viele Frauen zu erreichen.
Wie steht es um den Schutz von Gruppen wie Migrantinnen oder Menschen mit Behinderungen, im Kontext der Istanbul-Konvention in unserer Stadt?
Die lokalen Beratungsstellen arbeiten hier viel mit Sprachmittler*innen zusammen, um in so vielen Sprachen wie möglich beraten zu können. Für Geflüchtete gibt es außerdem die Fachstelle Trauma, eine Anlaufstelle zur psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung. Im Gleichstellungsaktionsplan ist darüber hinaus auch verankert, dass die Zusammenarbeit unsererseits mit den Frauenbeauftragten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung intensiviert wird. Auch hier gilt es, Angebote so niedrigschwellig wie möglich zu halten und generell Informationsmaterialien auch in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen.
Wie wichtig ist es, schon bei den Kindern anzusetzen? Was können wir zum Beispiel im Bildungsbereich tun, um ein Klima von Respekt und Gleichberechtigung in unserer Stadt zu schaffen?
Die Istanbul-Konvention hält ganz klar fest, dass Gleichstellungsarbeit und Chancengleichheit der Schlüssel zur Prävention sind. Wir setzen daher auf verschiedene Angebote mit dem Fokus auf Partnerschafts- und häusliche Gewalt, Sexismus und Mobbing in dem Kontext, zugeschnitten auf die jeweiligen Altersgruppen. Bei den Kleinsten etwa setzen wir mit einem Präventionstheater an, für die Älteren eignet sich zum Beispiel die Wanderausstellung „Was männlich ist, entscheidest Du. Jeden Tag.“, die bei der Gleichstellungsstelle ausgeliehen werden kann, oder die Workshopangebote für Jugendliche und Schulklassen der lokalen Beratungsstellen.
Betrifft das Thema eigentlich auch Männer?
Das Thema betrifft Männer in vielerlei Hinsicht. Die aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen, dass 80 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt, also Gewalt innerhalb einer Beziehung, einer Lebenspartnerschaft oder Ehe, weiblich sind und 20 Prozent männlich. Gleichzeit sind knapp 80 Prozent der Täter*innen männlich. Allerdings wird die Dunkelziffer auch bei Männern als ziemlich hoch eingeschätzt. Das Thema gilt nicht nur bei Frauen als schambesetztes Tabu. Bei Jungen und Männern ist die Hemmschwelle um Hilfe zu bitten aufgrund von Stereotypen und Rollenbildern hoch. Allerdings gibt zwischenzeitlich auch hier Hilfsangebote – übrigens auch für Täter.
Unterstützung und Beratung:
https://www.nuernberg.de/internet/gleichstellung/gegen_gewalt.html
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