Neid und Eifersucht – vom Tabugefühl zur Lebenskraft

von | 21. April 2023 | Miteinander leben, streiten, wachsen

Seit ich meine Enkelinnen in der Kleinkindzeit beobachtet habe, wie sie mit Schreien, Weinen, Kratzen, Beißen reagierten, wenn die Schwester das Spielzeug nimmt, das die andere gerne hätte, dachte ich mir: Wenn Neid sich in einem so kleinen Menschen dermaßen verkörpert, muss er in uns angelegt sein und irgendeinen Sinn machen.
Ebenso wie die Eifersucht, der Neid auf vermeintlich versagte Liebe. Zu erleben bei Geschwistern, die das Neugeborene in der Familie oft gar nicht mögen und sich mit allerlei Aktionen in den Vordergrund spielen. Da braucht es viel Geduld mit aggressiven oder traurigen Kindern.

Oft ist zu hören: „Du musst doch nicht neidisch sein. – Du musst nicht alles haben wollen.“ Das hilft erst mal gar nichts. Der Neid möchte, wie alle anderen Gefühle, einfach da sein dürfen, gesehen werden, als Ausdruck einer tiefen Sehnsucht in uns.

Weil versucht wurde, mir Neid und Eifersucht abzuerziehen, und großzügiges Gönnen als Tugend dafür hingestellt wurde, habe ich erst spät die Kraft hinter Neid und Eifersucht erfahren. Wenn ich jetzt wahrnehme, wie es mich „piekst“, wenn ich eine schöne Partnerschaft sehe, das Haus des Freundes mitten in der Natur, oder eine bestimmte Eigenschaft einer Freundin, all das, was mir vermeintlich fehlt, setze ich mich in Ruhe hin und frage mich nach den Qualitäten die dahinterstehen: Nähe, Geborgenheit, Natur, Ruhe, mehr Leichtigkeit …  – das sind meine „Zeiger“ für das, was mich glücklicher macht. Manchmal sehe ich einiges davon ganz nah in meinem Umfeld oder ich kann mich auf den Weg machen, das in mein Leben zu holen, was mich erfüllt.

Im Christentum zählte Neid zu den Todsünden und wurde damit zum Tabu erklärt. In der Psychologie hat man dies Gefühl lange erforscht. Neurobiologen sehen Eifersucht in der Tierwelt als evolutionär angelegten Überlebenstrieb. Neid ist leider auch eine starke Wurzel von Gewalt – ein Beispiel ist der Brudermord aus der biblischen Geschichte von Kain und Abel. Kriege basieren auf Neid, es wird um „Territorium“ und „Futter“ gekämpft, um Rohstoffquellen, Werte, Einfluss.

Sich dem eigenen Neid zuzuwenden, kann die Welt friedlicher machen, wenn wir ihn, statt zu verdrängen, in Lebenskraft und Glück verwandeln, indem wir uns immer öfter gönnen, was wir brauchen und uns selbstwirksam erleben.

In dem Wissen kann ich es anders hören, wenn ich meine Zwillingsenkelinnen (nun im Teenageralter) im Clinch erlebe, dem ich kaum zuhören kann, weil es so grausam klingt, wie die eine ihre Schwester niedermacht: „Du hast doch keine Freunde … du bist zu blöd zu allem …“. Doch ich weiß, dass dahinter tiefer Selbstzweifel steckt, Unzufriedenheit mit sich selbst. Die Strategie, andere abzuwerten, um sich besser zu fühlen, ist ja auch bei Erwachsenen verbreitet.

Wie wäre es mit einer Übung?

  • Worauf war/bin ich zuletzt/aktuell neidisch?
  • Wo/Wie fühle ich den Neid im Körper?
  • Wie möchte ich ihn im ersten Impuls am liebsten ausagieren?
  • Was braucht mein Leben, damit ich erfüllt/satt bin?
  • Wie kann ich gewaltfrei meine Wünsche erfüllen?

Tipp: Bitten können enorm helfen! Vieles kommt nicht von selbst. Ich kann Menschen um das bitten, was mir gut tut.

Und wenn ich nicht (gleich) bekomme, was ich brauche? 
Beispielsweise eine Umarmung von einem bestimmten Menschen … nicht auf die erste Bitte hin …
Dazu sagte der berühmte Konfliktmediator Marshall Rosenberg:
Es gibt Milliarden von Menschen, einer von ihnen wird dir doch heute diesen Wunsch gerne erfüllen!
Also: Den Blick weiten für die Möglichkeiten – es ist genug für alle da!

Dieses Rap-Video von Kindern zeigt, dass destruktiver Neid kein Weg ist:
https://www.youtube.com/watch?v=8cwzoxsJBgU

Über die Autorin:
Karin Charlotte Melde – Jahrgang 1958
Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation nach M.B. Rosenberg, Autorin, Leiterin von Schreibwerkstätten
Mutter einer Tochter / Großmutter von Zwillings-Enkelinnen
Bewohnerin eines Mehrgenerationenhauses mit 100 Nachbar*innen www.wingmbh.de
Kontakt: DIE WORTBINDEREI Text / Kommunikationstraining / Schreibcoaching
melde@wortbinderei.de
www.wortbinderei.de

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