Dass Teilen eine besondere Tugend ist, wusste ich, seit ich im Religionsunterricht zur gehörten Geschichte beeindruckt und andächtig mit Buntstiften den Sankt Martin in mein Religionsheft zeichnete, wie er seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Die Fähigkeit zu teilen wird in unserer Gesellschaft gerade immer wichtiger. Wer nicht teilt, gilt als unsozial. Dabei ist uns das Teilen nicht in die Wiege gelegt. Es wird erlernt. Doch müssen Kinder schon von klein an alles teilen? Für viele Eltern ist das weiterhin ein wichtiger Grundsatz. Moderne Erziehungsratgeber raten jedoch, dass Kinder nicht immer teilen müssen.

Die hellblauen Augen des zweieinhalb-jährigen Finn leuchten, als er nach den bunten Förmchen des kleinen Mädchens greift, das ihm gegenüber im Sandkasten sitzt. Die Betreuerin des Jungen sagt: „Stopp, bitte frage erst, ob du das haben darfst.“ Der Junge murmelt zaghaft etwas, das Köpfchen in fragender Haltung. Das etwa gleichaltrige Mädchen schüttelt entschlossen den Kopf. Die Mutter: „Gib ihm was ab, du hast doch genug Formen.“ Das Mädchen guckt mit gerunzelter Stirn erst den Jungen an, dann die Mutter, ihre Förmchen im Arm umklammert. Nach weiterer Rede der Mutter lässt es zu, dass Finn mit einer Plastik-Eistüte und einem Löffel ein Sandeis formt, das er uns fröhlich hinhält.
Ich spürte Unbehagen bei der dieser Szene, über die Art, wie das Kind zum Teilen gedrängt wurde. Wenn doch ein Kind ein so klares Nein ausdrückt, muss es dann überredet werden, seine Sachen zu teilen?

In neueren Erziehungsratgebern lese ich: Nein. Ein Kind muss nicht immer teilen.
Die Bereitschaft zum Teilen ist natürlich ein wertvolles Sozialverhalten in kleinen und großen Gemeinschaften.Teilen ist wichtig für gute Beziehungen, Kooperation und Gerechtigkeit. Wer in unserer Gesellschaft nicht teilt, wird oft als gierig und egoistisch bezeichnet.

Doch Vorsicht mit moralischer Verurteilung. Manche Dinge sind auch uns Erwachsenen besonders wichtig und wir wollen nicht alles mit allen teilen. Manches darf uns ganz allein gehören. Warum nicht das auch unseren unseren Kindern zugestehen. Bewusstes Teilen kann erklärt und mit ihnen geübt werden, indem die persönlichen Grenzen und Entwicklungsstufen berücksichtigt werden.

Zu Beginn des Kleinkindalters sind Kinder noch selbstbezogen. Sie können sich nicht in die Blickwinkel anderer versetzen. Erst ab 2 Jahren wird es leichter. Das erste Teilen beginnt meist beim Essen. Ein Gegenüber zu füttern macht Kindern dann besonders Spaß. Im Kindergartenalter wird Teilen leichter. Das größere Übungsfeld hilft besonders Einzelkindern. Im Schulalter ist der Lernprozess des Teilens meist abgeschlossen.

 

 

Wenn einem Kind die Vorteile des Teilens erklärt werden, wird es eher teilen. Wenn es z.B. erfährt, dass es anderen eine Freude macht und sich dann beide freuen können. Und das Kind darf wissen, dass es nicht alles teilen muss, wie den Lieblingsteddy oder das neue Fahrrad. Ebenso, dass es leichter ist, mit Freunden als mit Fremden zu teilen und dass es immer seine eigene Entscheidung ist, was es mit wem teilt. Vorbilder wie Eltern und Geschwister sind dabei hilfreich.

Vertrauen ins Teilen kann gewonnen werden, wenn das Kind Freunden, die es besuchen, etwas leihen kann, bis diese wieder gehen. Es gibt auch viele Spiele, mit denen Teilen gelernt werden kann. Und natürlich motivieren positive Rückmeldungen ans Kind enorm, wenn das Teilen klappte oder klar kommuniziert wurde, warum es gerade nicht ging – damit Kinder von Herzen und mit Freude teilen.

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