„Ich vermisse auch euch!“ – Unsere Patenschaft für einen jungen afrikanischen Flüchtling –
Als mein Mann und ich Ahmed kennenlernten, war er 17 Jahre alt und lebte in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Zahl der Geflüchteten stieg in 2015 stetig an und wir wollten Hilfe anbieten, die sich mit unserer Berufstätigkeit vereinbaren ließ. So meldeten wir uns bei dieser Wohngruppe in unserer Nachbarschaft: Es wurden ehrenamtliche „Paten“ gesucht, die den Jungen ehrenamtlich zur Seite stehen.
Nach einem Kennenlerngespräch wurde ein kleiner Vertrag von uns und Ahmed unterzeichnet. Darin heißt es unter anderem „Dein Pate schenkt Dir Zeit – aber kein Geld“. Das gefiel uns.
Nach dreieinhalb Jahren kann ich sagen: Diese „geschenkte Zeit“ hat nicht nur ihm geholfen, seinen Weg in ein selbständiges Leben hier aufzunehmen. Die Zeit mit ihm ist auch ein Geschenk für uns, in der wir lernen, viele Dinge mit anderen Augen zu sehen und zu schätzen.
Ahmed lernten wir kennen als linkischen Jungen, der zu Boden sah, wenn er angesprochen wurde und nicht recht wusste, wie er sich bei uns zu Hause benehmen sollte. Mit vierzehn war er aus seinem Land geflohen, in dem Terrormilizen die Jungen seines Alters gern aus der Moschee rekrutierten. Es folgte ein Weg, den viele Flüchtlinge kennen – durch mehrere Länder, Lageraufenthalte, Zwangsarbeit schließlich nach Italien und von dort aus mit einem, von Schleusern organisierten, Bus nach München. Als Ahmed dort aus dem Bus stieg, suchte er zunächst ängstlich nach dem erstbesten Dunkelhäutigen, in der Hoffnung, er könnte ihn verstehen. So wurde ihm der Weg gezeigt zur Polizeiwache und nach einigen Wochen kam er in dieser Wohngruppe an.
Erste Begegnungen waren vorsichtig, manchmal auch anstrengend oder komisch. Wir übten gemeinsam Deutsch und stellten fest, dass das Märchenbuch unserer Kinder dafür toll geeignet war: Angeblich gibt es das Märchen vom Wolf und den 7 Geißlein auch in Afrika, „aber mit Schildkröten!“ – das haben wir nicht so ganz verstanden und konnten es nicht überprüfen. Wir schmunzelten über die Ehrfurcht, mit der er unseren Weltatlas behandelte, in dem er seinen Fluchtweg mit dem Finger nachvollziehen konnte.
Einmal waren wir gemeinsam in einem Konzert, in einer Kirche. Sehr mutig für einen Moslem, so kam es uns vor, denn er schien den Atem anzuhalten und betrachtete angestrengt die Altäre um ihn herum. Hinterher platzte er heraus: „Wenn du denkst, ein Mann hat gemacht das vor hunderte Jahre!“ Die Ehrfurcht vor so viel Geschichte war ihm deutlich anzumerken.
Bei einem unserer Ausflüge besuchten wir den Tiergarten und erfuhren bei der Gelegenheit, dass er zuhause mit Kamelen und Ziegen aufgewachsen war. Ziegen mit Futter aus dem Automaten zu füttern war eine schwer zu verstehende Angelegenheit für ihn!
Manchmal ärgerten wir uns – z.B. über die chronische Unpünktlichkeit. Ahmed hat sie sich nach Ermahnungen durch Lehrer, Fußballtrainer und uns „Paten“ so langsam abgewöhnt. Er sagt nun, in Europa gäbe es für alles eine Regel – das gefalle ihm! Struktur, Regelmäßigkeiten, eine bestimmte Ordnung – das geht jungen Menschen einfach auch verloren, die so lange Zeit auf sich gestellt unterwegs und nirgendwo eingebunden sind.
Kaum war Ahmed volljährig, musste er auf Anweisung der Regierung die Wohngruppe verlassen und in eine „normale“ Flüchtlingsunterkunft ziehen, ohne engmaschige Betreuung, beengt unter einem Dach mit Menschen jeden Alters aus aller Herren Länder. Er war erleichtert, dass wir Kontakt zu ihm weiterhin hielten und ihm beiseite standen bei Ämtergängen, Anwaltskontakten oder der Anhörung beim BAMF. Manchmal gerieten auch wir an unsere Grenzen, Behördendeutsch zu verstehen!
Je besser er Deutsch konnte, je mehr sein Vertrauen wuchs, desto eher schimmerte durch, was für schlimme Erfahrungen hinter ihm lagen: Als Kind schon Tote auf der Straße zu finden. Das Ausgeliefertsein an Schleuser in der Wüste. Die Fahrt über das Mittelmeer in einem Boot, in dessen Motorraum es zu brennen beginnt.
Und manchmal endet er mit: „Ich habe immer bisschen Glück gehabt!“
Ahmed macht, mit wachsendem Selbstbewusstsein, das, was er kann aus diesem bisschen Glück.
Ahmed lernte – im Gegensatz zu vielen anderen Geflüchteten – den Umgang mit einem Handy erst in Deutschland kennen. So wurden mithilfe von Kontakten ins Heimatdorf – nach über drei Jahren! – regelmäßige Telefonate mit der Mutter möglich. Ganze Welten liegen mittlerweile zwischen ihr und ihrem Sohn. Ahmed scheint das manchmal zu schmerzen.
Es hat uns gefreut, als wir im Urlaub von ihm die Whatsapp bekamen: „Wie geht`s Euch? Ich vermisse auch euch!“ Wenn wir Hilfe beim Rasenmähen oder Reparaturen benötigen, ist er dabei und auch sein Meister schätzt seine zupackende Art. Ahmed hat mittlerweile eine Ausbildung begonnen, die ihm hoffentlich auch ermöglicht, weiter Wurzeln zu schlagen. Wir wünschen ihm dazu weiterhin „bisschen Glück“!
https://www.nuernberg.de/internet/sozialreferat/helferkreise.html
https://www.iska-nuernberg.de/zab/be-stellen.html
Bildnachweis: Foto Doris Reinecke
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