Gelungene Integration: Wie Mahmoud ein neues Zuhause fand
Als Mahmoud im Sommer 2016 mit einer Betreuerin aus dem Flüchtlingsheim an Gudrun Heideckers Tür klingelte, war noch nicht absehbar, dass aus dem Zimmerangebot eine enge Verbindung entstehen würde. Der junge Syrer war dem Krieg entkommen und hatte eine dramatische Flucht hinter sich, die damals 75-Jährige kämpfte nach dem Verlust ihrer Eltern und ihres Ehemanns mit Depressionen. Hier trafen zwei Menschen aufeinander, die sich gegenseitig brauchten und beide fanden in ihrer Begegnung Hoffnung und Lebensfreude.
Als Gudrun Heidecker von der Möglichkeit erfuhr, junge Geflüchtete aufzunehmen, zögerte sie nicht lange und ließ sich auf das Abenteuer ein. Das Schicksal dieser Menschen und vor allem der Kinder ging ihr sehr zu Herzen, sie wollte helfen, aktiv werden. „Mutig“ nennen das viele ihrer Bekannten. Sie hätte halt Glück gehabt, hört sie immer wieder. Aber das sieht Gudrun Heidecker, die noch mit über 60 eine Ausbildung zur Gedächtnistrainerin gemacht hat, nicht so. Wenn es nach ihr ginge, würden alle miteinander statt übereinander reden. „Wenn mehr Menschen aufeinander zugehen würden, dann würde auch weniger passieren“, davon ist sie überzeugt. „Denn Integration geht in der Bevölkerung viel besser als am Rand der Gesellschaft.“
Und Mahmoud wollte sich integrieren. „Er hat sich gleich den Nachbarn vorgestellt und Selbstgebackenes mitgebracht“, erzählt die alte Dame. Ihre Familie hat sich für sie gefreut, ging offen auf den Gast zu. Eines der Enkelkinder malte sogar ein Türschild mit „Willkommen, lieba Mahmoud“ und der syrischen Fahne – dieses Zeichen der Herzlichkeit hängt noch immer an der Eingangstür.
Tagsüber besuchte Mahmoud den Sprachkurs, abends saßen die beiden zusammen vor dem Fernseher und schauten sich Quizsendungen an. Jedes unbekannte Wort wurde aufgeschrieben und nachgeschlagen. „Nach einem Jahr hat er C1 geschafft, das ist das Niveau eines Muttersprachlers – das war unglaublich“, sagt „Mama Gudrun“, wie sie der junge Mann inzwischen nennt, stolz.
Das größte Problem war die Anerkennung der bereits in Syrien erreichten Abschlüsse. Doch Mahmoud gab nicht auf und bahnte sich – mithilfe engagierter Mitmenschen – Schritt für Schritt seinen Weg bis zur Universität. Heute hat er einen deutschen Masterabschluss in Wirtschaftsinformatik (International Information Systems Management) und arbeitet seit Februar beim Landesamt für Digitalisierung in München.
Mahmoud wurde schnell ein vollwertiges Familienmitglied und ist zudem inzwischen glücklich verheiratet. Doch trotz gelungener Integration blieben die Spuren der Vergangenheit lange bestehen, das Erlebte bahnte sich immer wieder seinen Weg ins Bewusstsein: in Form von Panikattacken. „Manchmal dachte ich, er stirbt, so schlecht ging es ihm. Wir waren anfangs oft in der Notaufnahme der Psychiatrie, wenn ihn all die schrecklichen Erinnerungen wieder einholten.“ Inzwischen hatte er Glück und die Möglichkeit, eine Therapie zu machen. „Diese jungen Leute haben so viel mitgemacht und Dinge gesehen, die wir uns nicht vorstellen können. Sie brauchen professionelle Hilfe.“
Seine Eltern hat Mahmoud seit der Flucht erst einmal wiedergesehen – in Dubai. Denn die deutschen Behörden haben ihnen die Einreise für einen Besuch ihres Sohnes versagt. Zwei seiner Schwestern leben noch in Syrien bei den Eltern. Die anderen Geschwister sind über Europa verteilt: Niederlande, Dänemark, Spanien und Türkei. „Mit seiner Mama telefoniert er so oft wie möglich.“
Gudrun Heidecker ist sich sicher: Würden mehr Senior*innen jungen Geflüchteten eine Chance geben, wäre das für beide Seiten ein Gewinn. „Ein Modell für die Zukunft. Es wäre nicht nur eine gute Lösung gegen Vereinsamung, sondern wäre auch für die Kommunen eine Entlastung.“ Eine Win-win-Situation, die, wenn es nach den beiden geht, viel mehr unterstützt werden sollte. Im Rahmen von Begegnungscafes zum Beispiel, in denen man sich kennenlernen und Befürchtungen abbauen könnte.
Mahmoud hat damals nicht nur eine Unterkunft gefunden, sondern eine zweite Familie. Und für die quirlige 83-Jährige ist klar: „Ich würde diesen Schritt jederzeit wieder gehen.“
Eine Liste mit offenen Angeboten und Begegnungscafés in Nürnberg gibt´s hier:
Bildnachweis: Copyright: Gudrun Heidecker, Copyright Gudrun Heidecker
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