Familien in Nürnberg. Interview mit Reiner Prölß, Referent für Jugend, Familie und Soziales, zum dritten Nürnberger Familienbericht
Wie viele Kinder, Jugendliche und Familien leben eigentlich in Nürnberg? Wie viele von ihnen sind zur Sicherung des Lebensunterhalts auf „Hartz IV“ angewiesen? Und sind es in Paarfamilien immer noch die Väter, die hauptsächlich für den Lebensunterhalt der Familie sorgen? Auf diese und viele weitere Fragen gibt der dritte Nürnberger Familienbericht eine Antwort. Daneben berichten Familien von ihrem Alltag und zeigen, wie Familienleben in der Praxis aussehen kann.
Reiner Prölß, Referent für Jugend, Familie und Soziales der Stadt Nürnberg, wird den Familienbericht am 20. März im Stadtrat vorstellen. Wir haben mit ihm vorab über den Bericht und seine eigenen Familienerfahrungen gesprochen.
Herr Prölß, welche Ergebnisse des aktuellen Nürnberger Familienberichts sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Also, das teilt sich in zwei Teile. Einmal sind die empirischen Daten natürlich sehr wichtig und da ist besonders auffallend, dass in Nürnberg inzwischen wieder sehr viele Kinder geboren werden. Lange Jahre, bis 2010/2011, hatten wir ziemlich konstant eine Geburtenzahl zwischen 4.100 und 4.300 Kinder. In den letzten Jahren hatten wir eine stetige Zunahme und im vergangenem Jahr mit über 5.500 Geburten ein Rekordjahr. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis aus dem empirischen Teil ist, dass es uns gelungen ist, die SGB II-Quoten nach unten zu fahren. Neben der gesamtwirtschaftlichen Lage ist das auch ein Erfolg unserer aktiven Politik gegen Armut. So zeigte vor kurzer Zeit eine Studie, dass wir in Nürnberg beim Bildungs- und Teilhabepaket von den Großstädten diejenigen sind, wo die Leistungen am umfassendsten, mit rund 80 Prozent, bei den Kindern ankommen. Darauf können wir stolz sein. Die andere Seite des Berichts, die ich auch sehr beeindruckend fand, sind die Familienportraits. Hier zeigt sich im Vergleich zum ersten Familienbericht, wie volatil und veränderbar das Familienleben ist. Das ist auch wichtig, weil Eltern dadurch sehen, dass eine momentan schwierige Situation nicht so bleiben muss und dass es wieder aufwärtsgehen kann.
Welche Schwerpunkte ergeben sich aus dem Bericht für die Arbeit der Stadt Nürnberg?
Auf der einen Seite gibt es eine Kontinuität der Arbeit, denn wir fangen ja nicht bei Null an. Wir haben in den letzten Jahren eine strategisch ausgerichtete Familienpolitik betrieben. Deshalb steht – auch aufgrund der angesprochenen zunehmenden Zahl von Kindern in unserer Stadt – natürlich an erster Stelle der weitere quantitative Ausbau der Kindertagesbetreuung. Das ist eine sehr große Herausforderung. Aber um erfolgreiches Aufwachsen zu ermöglichen, müssen wir noch mehr in die qualitative Weiterentwicklung investieren. Daneben sind wir eine der wenigen Städte, die in den vergangenen Jahren und auch weiter in die Zukunft gedacht die Angebote im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ausbauen. Bei diesen Angeboten der allgemeinen Förderung der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien müssen wir aber die Familien mit speziellen Herausforderungen besonders in den Blick nehmen. Ich denke da an Familien, die von Armut betroffen sind, und an die Kinder, die mit ihren Eltern zu uns gekommen sind, Migrantenfamilien und geflüchtete Familien. Da ist es ganz besonders wichtig, dass die Kinder frühzeitig in Kindertageseinrichtungen integriert werden und dass sie die deutsche Sprache lernen können und entsprechend gefördert werden, wo möglich gemeinsam mit ihren Eltern. Natürlich geht es auch um Kinder und Jugendliche mit Behinderung, die man eben in erster Linie als Kinder und Jugendliche sehen muss und nicht als „Behinderte“ betrachten darf. Und schließlich und endlich nehmen wir jetzt auch Kinder stärker in den Fokus, deren Eltern psychisch angeschlagen sind oder eine Behinderung haben.
Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, die verschiedenen Wünsche der Eltern unter einen Hut zu bringen und gegeneinander abzuwägen. So äußern die Eltern im Bericht den Wunsch nach mehr und besseren Wohnungen und nach guter und wohnortnaher Infrastruktur (Kindertageseinrichtungen, Schulen), wollen aber auf der anderen Seite auch ausreichend Grünflächen. Hier zeigt sich das ganze Dilemma, mit dem wir in der Stadtpolitik insgesamt zu tun haben: Ein schwieriger Abwägungsprozess zwischen mehr Wohnungen, mehr Arbeitsplätzen, die man braucht, um Armut zu bekämpfen, Raum für Infrastruktur wie Kindertageseinrichtungen, Schulen, etc. und auf der anderen Seite genügend Grün. An diesem Punkt ist Kommunalpolitik immer eine Suche nach einem vernünftigen Weg und manchmal muss man auch gewisse Zumutungen in Kauf nehmen, wenn man damit den anderen Faktoren gerecht werden kann. Wir haben eine begrenzte Fläche an Grund und Boden und müssen schauen, dass wir das Grundbedürfnis nach gutem Wohnen erfüllen und gleichzeitig das Wohnumfeld, den jeweiligen Stadtteil und die ganze Stadt lebens- und liebenswert erhalten.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Sie haben ja selber Kinder. Wie ist es Ihnen und Ihrer Frau gelungen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren?
Unsere Kinder sind ja jetzt schon erwachsen, die Tochter ist 27, der Sohn ist 20 Jahre alt. Und vor 27 Jahren war die Welt noch ein bisschen anders. Ich kann mich noch erinnern, wie wir mühsam versucht haben, einen Krippenplatz für unsere Tochter zu finden, weil völlig klar war, dass meine Frau schnellstmöglich wieder in den Schuldienst zurückwollte – zu der Zeit gab es ja auch noch nicht diese Erziehungszeiten. Damals wurde man noch schief angesehen, wenn man sein Kind im ersten Lebensjahr in eine Krippe geben wollte und der Begriff der „Rabeneltern“ war gelegentlich zu hören. Aber es gab nur ca. 200 Plätze in Krippen – heute sind es knapp 5.000 Plätze -, die uns auch nicht alle so gefallen haben. Wir wussten, dass die Stadt eine Krippe baut, und die sollte im September/Oktober fertig sein, also pünktlich zum Schuljahresbeginn. Das war dann leider nicht der Fall, sondern die Krippe ist erst ein knappes Jahr später fertig geworden. Und da hatten wir schon sehr abenteuerliche Betreuungsarrangements, mit Oma, mit Nachbarn, Mitgliedern unserer Jugendgruppe usw. Dass wir das alles bewältigt haben, ist sicher auch ein großer Verdienst der Eltern meiner Frau, die uns von Anfang an sehr viel abgenommen haben an Kinderbetreuung. Ansonsten haben wir versucht, die Verpflichtungen mit Haushalt und Kindern einigermaßen gerecht aufzuteilen, wiewohl ich zugeben muss, dass sicherlich die größere Belastung bei meiner Frau war. Also, wenn man das mal prozentual ausdrücken würde, war es wohl so 40:60 oder 35:65 verteilt. Und wir haben auch grob eine schöne Aufgabenteilung gehabt. Ich war immer für die Küche und das Essen verantwortlich und meine Frau eher für die Wäsche, und für das Putzen haben wir uns eine Reinigungshilfe geleistet. Im Übrigen hat Küche aufräumen hat ja auch etwas sehr Schönes: Man sieht sehr schnell den Erfolg.
Neugierig geworden? Der Familienbericht steht als PDF auf der Webseite des Bündnisses für Familie www.bff-nbg.de und kann dort heruntergeladen werden.
Bildnachweis: Anestis Aslanidis, Giulia Iannicelli
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