Eine Single-Patchwork-Oma hats nicht leicht

von | 23. November 2020 | Miteinander leben, streiten, wachsen

Oma werden ist nicht schwer – Oma sein dagegen sehr … – seufze ich schon seit 10 Jahren als Großmutter von Zwillingsmädchen, die meine Tochter zum Muttertag 2010 zur Welt brachte. Meine Mutter starb einige Monate vorher und es fühlte sich an, als würde ich nahtlos von der Tochter zur Oma, ohne Anleitung, mit viel Hoffnung, dass jetzt ein neues Leben für mich beginnt. Alles nochmal neu erleben, mehr genießen, besser machen, mit den beiden kleinen Menschen und meine Erfahrung weitergeben. Das gelang bis heute nur teilweise. Ich wurde keine Oma, wie ich eine hatte, mit viel Zeit, die mit ihren Enkeln beschaulich spazieren geht und in Fotoalben mit den Ahnen blättert und dabei Geschichten erzählt, die Kindern Wurzeln wachsen lassen.

Ich bin offenbar eine moderne Single-Oma, mit jetzt 62 Jahren noch freiberuflich tätig und, wie schon in den 80ern, zwischen Netzwerken, Selbsterfahrungsgruppen, Arbeitskreisen, Tanzkursen und verrückten oder ehrenamtlichen Projekten unterwegs, um meinem Sein und Tun einen Sinn, der Welt etwas von mir zu geben und geistige wie seelische Nahrung zu finden. Denn ich habe gelernt, dass Frauen sich selbst glücklich zu machen haben.

So fand ich in ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt mit 100 Menschen, wo ich seit 7 Jahren in Gemeinschaft mit viel Teilen und Unterstützung lebe. Ich hoffe, nicht wie meine Mutter und Großmutter im Heim zu enden, die im Alter vereinzelten und dement wurden, eine Last für die Kinder. Und ich entmachtete so das Schreckgespenst „Altersarmut“, das mir nach Familienzeit und Teilzeitarbeit drohte. Ich habe mich perfekt organisiert, um mit wenig Geld auszukommen: bezuschusste Miete für die 39 qm- Wohnung, ich rette Essen über Foodsharing, ergattere modische Garderobe bei Tauschbörsen und komme durch Haus- und Tiersitting zu Urlauben, die ich mir sonst nicht leisten könnte.

 

Welch enormen Einsatz an Zeit, Energie, Mut und Kreativität das abverlangt, sieht meine Familie nicht. Wenn ich versuche, im oft dornigen Geflecht meiner Scheidungs-Rest-Patchworkfamilie auch mal als Oma „dranzukommen“, höre ich von meiner Tochter: „Jetzt sind wir schon verplant … du hast ja nie Zeit, wenn wir dich bräuchten“.

Wo bleibt das Interesse für meine Lebensgestaltung? Mit meinem Wohnprojekt wollte ich Botin sein und zeigen: Es gibt noch etwas Kreativeres als Kleinfamilie und Alltagstrott. Doch Tochter und Enkelinnen halten sich lieber bei den „normalen“ Omas auf, mit einem Opa am Sofa und bürgerlichem Essen im Kochtopf. Traurig darüber möchte ich mein buntes Leben manchmal einfach hinwerfen, um eine ganz normale Oma zu sein.

 

 

Wenn es dann doch mal klappt mit einem Familientreffen, gibt es oft Streit statt Nähe. Und ich fühle mich zerrissen und überfordert im Spagat zwischen Eigenleben und Familie, wie in meiner Zeit als alleinerziehende Mutter. Doch jetzt muss ich vielleicht nur noch mich erziehen, zu mehr Wertschätzung für meinen Weg und mehr Dankbarkeit für die kleinen Lichtblicke, die es trotz allem gibt, wie beim letzten Familienfest, als mich „meine drei Mädels“ bei meinem Feuertanz-Solo bestaunten und ich hörte: „Wer hat schon so eine Oma!“

Karin Charlotte Melde ist Autorin und Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation.

Bildnachweis: Illustration: pari-design.com; Fotos: Aline Dassel, Pixaby, Niko Klinger;

1 Kommentar

  1. Spannend.

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