Drei Nasen im Wind – Mit dem Bulli an die Küste
Wie weit muss man sich von zuhause entfernen, um das allumfassende Thema der letzten Monate hinter sich zu lassen? Braucht es einen Flug, eine luxuriöse Unterkunft, ein nie dagewesenes Abenteuer? Wo gibt es den größten Erholungswert, wenn wir alle doch längst auf dem Zahnfleisch kriechen?
Nirgendwo kann man die Relativität der Zeit so gut begreifen, wie am Meer. Wer sich darauf einlässt, ist gleich etwas weniger an der Welt befestigt. Für uns war deshalb schnell klar, dass wir den ersten richtigen Urlaub nach dem ermüdenden Marathon aus Lockdowns und Homeschooling wieder einmal an der Ostsee verbringen würden. Wir fahren seit vielen Jahren regelmäßig an den Darß, um selbstvergessen durch den Nationalpark zu streunen, oder am wilden Strand herumzulungern.
Diesmal war natürlich alles ein bisschen anders. Die meisten Campingplätze waren bereits seit dem Frühjahr ausgebucht und es kostete uns einige Mühe, noch ein Plätzchen für uns und unseren Bulli zu ergattern.
Es ist immer wieder eine Herausforderung, sich zu dritt auf so engem Raum zu organisieren. Das blende ich in der verklärten Erinnerung an Campingreisen grundsätzlich aus. Und so bin ich jedes Mal aufs Neue überrascht, wie klein so ein Camper doch eigentlich ist. Unsere bescheidenen Lösungsversuche sind eine strenge Beschränkung der erlaubten mitzunehmenden Dinge pro Person und ein einigermaßen disziplinierter Umgang mit Raum und Fläche.
Im Norden war von den Einschränkungen durch die Pandemie beinahe nichts zu spüren. Aber anstelle von Erleichterung fühlte ich mich in den ersten Tagen vor allem sonderbar. Es fühlte sich an, als wären unsere Fähigkeiten für lockeren Small-Talk während der Isolation des letzten Jahres eingerostet. Die Rettung kam in Form einer runden Tischtennisplatte, an der sich zu beinahe jeder Tageszeit ein offener Rundlauf über alle Altersgruppen formierte. Innerhalb weniger Spielrunden war alle Befangenheit im Trubel von uns abgefallen und stellte sich glücklicherweise auch später nicht wieder ein.
Wir hatten nur im ersten Teil des Urlaubs schönes Wetter in diesem Jahr, und die Rufe nach einer gemütlichen Ferienwohnung für den nächsten Sommer werden lauter. Man muss das alles schon wollen: die sandigen Gemeinschaftsduschen, ungemütliche Wanderungen zum Klo, feuchte Kleidung und harte Verhandlungen über den knappen Raum. Campingurlaub ist nicht glamourös und sicher oft herausfordernd. Aber, wenn man morgens struppig und verknittert aus seinem Nest kriecht und die Nachbarn einem genauso zerzaust entgegenblicken, verbindet das ungemein.
Und wo sonst kann man schon im Schatten umgestürzter Bäume verträumt den Horizont betrachten, das eigene Domizil direkt hinter der Düne, während einem die Sonne den Bauch wärmt und eine Möwe heimlich die Keksvorräte stibitzt?
Der Alltag ist in den Wochen an der See weit abgetrieben. So weit, dass wir gar nicht so genau wissen, wie wir unsere Füße wieder auf den Boden der Tatsachen bringen sollen.
Aber vielleicht geht es ja genau darum beim Reisen: wegzufahren, damit man auf neue Weise wieder ankommen kann.
Bildnachweis: Stephanie Mehnert
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