Belohnung – Bestrafung – noch zeitgemäß?
Kinder wachsen heutzutage freier auf als in früheren Zeiten. Wertschätzung steht vorne an und „schwarze“ Pädagogik hat zum Glück ausgedient. Doch schaut man genauer in die Kinderstuben, ist eine Strategie zu beobachten, die zu hinterfragen ist. „Wenn du deine Hausaufgaben nicht machst, darfst du diese Woche nicht mehr ins Schwimmbad.“ – „Erst wenn du eine 2 in Mathe schaffst, bekommst du das neue Handy.“
Bestrafung und Belohnung einzusetzen, um vermeintliche Erziehungsziele zu erreichen, sieht dann wie Dressur aus. Kommunikationsexperte Rosenberg meinte einst dazu: „Wenn du willst, dass dein Kind / dein Partner das tut, was du möchtest, musst du dir einen Hund anschaffen.“ Mit Zuckerbrot und Peitsche kann man zwar Menschen zum „Funktionieren“ bringen, wie ganze Gesellschaftssysteme zeigen, doch die Folge ist höchstens Anpassung oder Rebellion.
Der Hirnforscher Gerald Hüther mit seiner Kampagne „Liebevoll jetzt“ empfiehlt stattdessen, die angeborene Lernlust und Gestaltungsfreude zu unterstützen, bei Kindern wie bei Erwachsenen. So können sich Talente voll entfalten. Nur durch eigenständiges Denken und kreatives Handeln entsteht echte Motivation. Ermutigung statt Folgsamkeit ist die Devise. Doch wie ermutige ich Kinder wirklich?
Die Gefahr von „Lob“
Um es besser als ihre Eltern und Großeltern zu machen, meinen viele, ihre Kinder vor allem und bei jeder Gelegenheit loben zu müssen: Das hast du toll gemacht! Neuere Studien belegen, dass Lob schädlich wirken kann. Letztlich ist es ein Urteil zu einer Leistung und damit eine ergebnisorientierte Belohnung, die Kinder auf ihre Leistung reduziert. Eine Ermutigung hingegen ist prozessorientiert.
Wie kann die dann aussehen? Wenn die Tochter mit einer Vier in Englisch nach Hause kommt (wo vorher vielleicht ein Fünf war), kann ich mich auf den Lernprozess konzentrieren. Statt zu kritisieren: „Na, das hätte noch besser sein können“, kann ich sagen: „Du hast diesmal vorher schon viel mehr Vokabeln gelernt, als sonst. Beim nächsten Mal wird es bestimmt noch besser.“ So erkenne ich den Einsatz des Kindes an und das Ergebnis ist zweitrangig.
Ganz wichtig ist, dass Kinder kein großes Lob bei Dingen hören, die für sie selbstverständlich sind. Sie fühlen sich dann „veräppelt“. Kleine wie große Menschen wollen ernst genommen und anerkannt werden, wirksam sein und dazugehören. So entwickeln sie gesundes Selbstvertrauen.
Dauerlob hingegen schwächt das Selbstwertgefühl: Kinder lernen, dass sie nur etwas wert sind, wenn sie etwas Tolles leisten. Wenn das Lob dann mal ausbleibt, sind sie stark verunsichert. Liebe und Leistung werden so zu einer unseligen Verknüpfung. Wie viele Erwachsene haben in Therapien schon erfahren, dass sie sich nur liebenswert fühlen, wenn sie etwas leisten!
Belohnung und Bestrafung passten bislang zu unserer Leistungsgesellschaft. Immer mehr erkennen, dass deren Preis sehr hoch ist: Burnout, auch schon bei Kindern und Jugendlichen, frustrierte Menschen, die Jobs nur fürs Geld machen und nicht mehr wissen, was sie wirklich können und was sie glücklich macht. Die Zeit ist reif für neue Wege bei der Begleitung von Kindern ins Leben. Nicht mehr und nicht weniger ist es doch: Begleiten statt „Erziehen“, wie moderne Kindertherapeuten empfehlen. Mehr Liebe statt Leistung, Vertrauen statt Kontrolle. Wachsen lassen, statt „stutzen“. Gerald Hüther nennt das Ergebnis von Belohnung und Bestrafung: Spalierobst. Wie viel schöner sind doch üppige Bäume! Lasst unsere Kinder aufrecht in den Himmel wachsen. Jeden Tag kann ich mit meinen Kindern etwas anders umgehen als gewohnt und dabei selbst entspannter werden, auch mich einfach wachsen lassen.
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