Sozialer Netzwerken!
Meistens tauschen wir die jeweiligen Schreckensnachrichten aus, die uns über alle möglichen Kanäle erreichen und ich bin zunehmend verwirrter. Ist das nicht typisch menschlich, dass wir Antworten auf offene Fragen finden und uns vor drohendem Unheil schützen wollen? Niemand möchte ein Schicksal erleiden, das man vielleicht hätte kommen sehen können. Seitdem wir uns nicht mehr einfach so mit Freundinnen und Freunden treffen können, nehmen die sozialen Netzwerke für viele von uns einen noch größeren Teil im zwischenmenschlichen Kontakt ein. In diesem virtuellen Raum begegnen wir einander. Wir stärken uns und teilen unsere Sorgen und Nöte. Genauso können wir aber auch die Ängste anderer verstärken, wenn wir nicht abwägen, ob die Inhalte, die wir mit ihnen teilen, auch dafür geeignet sind. Aus der Wut heraus geht es oft ganz schnell. Ein Klick und unsere Empörung flutet den Newsfeed all unserer Freunde. Wir überschwemmen sie mit unserer Frustration, ohne, dass es uns irgendeine Erleichterung bringt.
Ja, wir haben Angst, weil die Dinge kompliziert sind und es keine Wahrheit gibt, an die wir glauben können. Ich habe Unmengen von Artikeln zu lesen bekommen, in denen Menschen behaupten, der Staat würde uns absichtlich Angst machen, um damit die Vernichtung unserer Grundrechte zu rechtfertigen. Alle diese Urheber schüren ihrerseits die Angst vor dem Staat und einer globalen Verschwörung. Von außen betrachtet ist das ein Widerspruch, oder? Diese Inhalte kommen nicht von seltsamen Gestalten, sondern von Menschen, die mir wichtig sind und deren Werte ich zu großen Stücken teile. Was ist es also, dass uns verführt uns diesem Sog hinzugeben?
Ich denke, eine Situation, die sich völlig unserer Kontrolle entzieht, ist kaum zu ertragen. Wir sehnen uns nach einer klaren Struktur, die uns Halt gibt. Verschwörungstheorien liefern uns das. Alles scheint plötzlich einen Sinn zu ergeben. Wenn wir uns empören, uns auflehnen gegen Anweisungen „von oben“ gibt uns das ein Gefühl von Stärke und Selbstbestimmung. Wir fühlen uns, als würden wir einer Minderheit angehören, die für das Gute kämpft. Und dann haben wir plötzlich ein Video gepostet, dass aus Quellen stammt, die menschenverachtende Standpunkte einnehmen und ganz sicher nicht das Beste für uns im Sinn haben.
Die Reaktionen auf einen solchen Post sind gemischt. Die einen fühlen sich bestätigt und empören sich ihrerseits über das schlimme System und die anderen sind schockiert und wettern dagegen. Ergibt sich daraus ein Austausch, der guttut und mich zufriedener macht? Ich bezweifle das. Geteilte Posts anderer Autoren erzählen keine Geschichte. Es entsteht kein persönlicher Austausch daraus, sondern bestenfalls ein Abgleichen der verschiedenen Argumente. Meistens einhergehend mit der Weigerung, der Gegenseite wirklich zuzuhören. In den letzten Tagen habe ich viele solcher Diskussionen beobachtet und war an einigen selbst beteiligt. Ich finde sie kräftezehrend und schädlich. In dem Zusammenhang fällt mir ein schönes Zitat von Rumi ein:
„Bevor du sprichst, lass deine Worte durch drei Tore schreiten:
Sind sie wahr?
Sind sie notwendig?
Sind sie freundlich?“
Wie kann ich meine sozialen Netzwerke so verwenden, dass sie mich und meine Freundinnen und Freunde stärken?
Ich habe mir folgende Richtlinien einfallen lassen und freue mich natürlich über Ergänzungen:
Jeder Artikel, den ich lese, jedes Video, das ich mir ansehe, braucht Zeit, um zu wirken. Bevor ich solche Inhalte teile, warte ich ein paar Stunden oder Tage. So kann ich mir sicher sein, dass sie wirklich von Bedeutung für mich sind.
Wenn jemand behauptet „die Wahrheit“ zu sagen, bin ich besonders skeptisch. Was hat dieser Mensch davon, sie mir zu verraten?
Jede Quelle sollte gründlich geprüft werden. Dank der modernen Technik geht das sehr schnell und es kann schockierend sein, was da so zu Tage tritt. Wenn ich Bezug nehmen möchte auf derartige Inhalte, dann teile ich diese Quellen nicht, sondern ich schreibe einen eigenen Text dazu. Das hilft, um die Reichweite solcher Inhalte einzugrenzen.
Aus den Diskussionen der letzten Wochen habe ich gelernt, dass es oft viel mehr Gemeinsamkeiten gibt, als unser hitziger Schlagabtausch vermuten lässt. Wir stehen alle im Auge des Sturms und wissen nicht, welchen Weg wir wählen sollen. Es trennt uns immer weiter voneinander, wenn wir uns gegenseitig aufgrund unserer Meinungen oder Ideen für den Umgang mit Corona abwerten. Fragen wir uns doch lieber „Wie erlebst du die Situation?“ oder „Was an dem Artikel spricht dich an?“. Lernen wir, einander wieder zuzuhören und anzuerkennen, dass wir völlig verschieden sein und doch für dieselben Werte stehen können. Geduldig die beschlossenen Maßnahmen durchzustehen ist eine große Aufgabe. Das schaffen wir viel besser, wenn wir Schulter an Schulter gehen. Nicht nur bei Facebook und Instagram, sondern auch zu Hause am Küchentisch. Finden wir einen Weg unsere ganz persönliche Reise durch die Krise miteinander zu teilen. Vielleicht mit einem einfachen „Wie geht es dir gerade?“.
1 Kommentar
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Sehr guter Artikel.