Adipositas bei Kindern und Jugendlichen – das Klinikum Nürnberg bietet Unterstützung
Bereits 2018 betrug die Häufigkeit von Übergewicht (einschließlich Adipositas) bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren 15,4 Prozent. Das bedeutet jedes 6-7. Kind in Deutschland war betroffen. Seit 2020 haben viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene stark an Gewicht zugenommen und Gewichtszunahmen von mehr als 20 kg innerhalb von zwei Jahren sind keine Seltenheit. Daher kann man derzeit von einem noch höheren Anteil ausgehen als 2018. Auch Adipositas spezifische Begleiterkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, oder Bluthochdruck kommen häufiger vor.
Damit Betroffene so früh wie möglich passgenau behandelt werden können, bietet das Klinikum Nürnberg seit Juni 2021 eine Adipositas-Beratungs-Stelle (ABS) für Kinder und Jugendliche und deren Familien/Betreuer an.
Oberärztin Dr. Katja Knab und Ernährungswissenschaftler Gabriel Torbahn informieren über die Krankheit und die neue Adipositas-Beratungs-Stelle:
Wie ist „Adipositas“ bei Kindern und Jugendlichen definiert?
Gabriel Torbahn: Die WHO definiert Adipositas als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Dem Körperfettanteil nähert man sich am einfachsten über die Berechnung des BMI, dem sog. Body Mass Index, an.
Dr. Katja Knab: Da sich Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu Erwachsenen noch in der Entwicklung befinden und somit der Wachstumsprozess noch nicht abgeschlossen ist, muss man bei der Beurteilung des BMI sowohl Alter als auch Geschlecht berücksichtigen.
Ist Adipositas eine chronische Erkrankung?
Gabriel Torbahn: Adipositas wird als eine chronische, nicht-übertragbare Krankheit (engl. non-communicable disease) angesehen. Andere Beispiele für diese Form einer Krankheit sind z. B. Diabetes- oder chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma.
Dr. Katja Knab: Im Gegensatz zu einer heilbaren Erkrankung (wie z. B. einer Erkältung) sind chronische Erkrankungen – wie die Bezeichnung uns bereits andeutet – nicht heilbar. Das heißt für die Betroffenen, dass sie Strategien erlernen und entwickeln müssen, um diese Erkrankung ihr Leben lang managen zu können.
Warum ist eine frühzeitige Behandlung von Kindern mit Adipositas so wichtig?
Gabriel Torbahn: Je frühzeitiger wir hier eingreifen und die Betroffenen unterstützen können, desto größer ist die Aussicht auf eine nachhaltige, positive Entwicklung. Die Entstehung von Übergewicht und Adipositas ist vielschichtig. Oft sind es nicht nur wenige, sondern viele und unterschiedliche Faktoren, die zur Entwicklung einer Adipositas beitragen.
Was sind häufige Ursachen für Übergewicht?
Dr. Katja Knab: Eine zu hohe Energiezufuhr, besonders in Form von hochkalorischen Lebensmitteln und Getränken oder zu großen Portionsgrößen, bei einem zu geringen Energieverbrauch. Ein überwiegend sitzender Lebensstil und übermäßiger Medienkonsum mit zu wenig körperlicher Bewegung. Darüber hinaus spielen vor allem mangelnde Strukturen, soziale Ungleichheit, zu geringer familiärer und sozialer Rückhalt und Geborgenheit eine entscheidende Rolle.
Gabriel Torbahn: Unsere Gesellschaft ist insgesamt sehr „Adipositas-fördernd“. Aber auch genetische Ursachen können eine Rolle spielen. Und so ist es eine Besonderheit der ABS am Klinikum Nürnberg, dass zur Ursachenermittlung gegebenenfalls weitere Kolleg*innen (z.B. Diabetolog*innen, Gastroenterolog*innen, Psycholog*innen) hinzugezogen werden können.
Kann man vorbeugend etwas tun?
Gabriel Torbahn: Wichtig ist die Vermittlung von Spaß und Freude an Bewegung und abwechslungsreicher Ernährung sowie Nahrungszubereitung. Hier sind vor allem die Erwachsenen gefragt, die den Kindern und Jugendlichen mit einem guten Beispiel vorangehen können.
Dr. Katja Knab: Diesen Präventionsgedanken greifen wir in der Zusammenarbeit mit der geburtshilflichen Abteilung unseres Klinikums auf. Wir beraten bereits am Anfang des Lebens, um den Grundstein für eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen.
Sie haben nun bereits vor über einem Jahr eine Adipositas-Beratungsstelle ins Leben gerufen. Was erwartet die Betroffenen dort?
Dr. Katja Knab: Kinder und Jugendliche, die zu uns kommen, haben zuerst die Möglichkeit ihre Wünsche und Erwartungen an die ABS zu äußern, das Gleiche gilt für die begleitenden Familienangehörigen. Wir kommen so in ein Gespräch über die mit der Adipositas verknüpften „Baustellen“, bei deren Bearbeitung wir die Familien unterstützen möchten. Außerdem werden Erhebungen der körperlichen Funktionsfähigkeit durchgeführt und die Körpermaße erfasst. Hierbei hilft uns auch unser neues Bioimpedanz-Gerät, welches die Körperzusammensetzung misst. Die Untersuchung ist für die Patienten schmerzfrei und kann für Verlaufskontrollen beliebig oft wiederholt werden. Zunächst sind pro Patient*in drei Termine angedacht.
Gabriel Torbahn: Die Inhalte der Termine können sich je nach individueller Situation der zu beratenden Person unterscheiden.
Der erste Termin dient der ausführlichen Anamnese und Erarbeitung der Zielplanung der nächsten Wochen sowie den oben genannten Untersuchungen. Im zweiten Termin widmen wir uns vor allem dem Ernährungs- und Ess-, als auch dem Bewegungsverhalten. Im letzten der geplanten Termine gehen wir nochmals auf die familiäre und psychosoziale Situation ein. Außerdem wird hier festgelegt, ob die Familie die besprochenen Inhalte zunächst versucht alleine umzusetzen, oder ob eine weitere Maßnahme, wie Betreuungs-, Aktivitäts- oder Bewegungsangebote in der Region oder eine ambulante bzw. stationäre Adipositastherapie in einem anerkannten und für Kinder und Jugendliche mit Adipositas spezialisierten Zentrum erfolgen kann. Nach einem Jahr werden dann die Patient*innen und ihre Familien, bzw. Betreuer*innen kontaktiert, um eine angemessene Nachsorge zu ermöglichen.
Wer kann die Sprechstunden in Anspruch nehmen?
Gabriel Torbahn: Das Angebot ist für alle da, wenn es um Fragen rund um Übergewicht von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen geht.
Dr. Katja Knab: Auch Eltern, Großeltern oder schwangere Frauen können sich gerne an uns wenden, wenn sie vorbeugen möchten oder sich bereits Sorgen um die Gewichtsentwicklung ihres Kindes oder Enkels machen. Eine Überweisung ist nicht erforderlich.
Was erhoffen Sie sich von der Sprechstunde?
Gabriel Torbahn: Wir erhoffen uns von der Sprechstunde, für alle betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Familien ein niederschwelliges Angebot und damit eine Anlaufstelle zu bieten, um mit unserer Hilfe und der Vernetzung mit unseren Kooperationspartnern eine multidisziplinäre Unterstützung zu generieren. So haben wir z. B. seit April dieses Jahres eine Kooperation mit dem Post SV Nürnberg gestartet. Dieser bietet nun eine Bewegungsgruppe speziell für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas an.
Dr. Katja Knab: Damit wäre es das erste Mal möglich, den Betroffenen in Nordbayern eine Anlaufstelle zu bieten! Ein weiteres derartiges Projekt existiert bislang nur in Regensburg. Wir hoffen, dass wir weitere Kolleg*innen in Bayern ermutigen können, sich auf das Experiment ABS einzulassen, damit es bald ein bayernweites Angebot für Kinder mit Übergewicht geben kann. Hierzu stehen wir in regelmäßigem, engem Austausch mit unseren Mitstreiter*innen im Kampf gegen Adipositas, v.a. auch im Rahmen unserer ehrenamtlichen Tätigkeiten in den großen Adipositas-Fachverbänden im Kindes- und Jugendalter.
Kontakte
Die Adipositas-Beratungs-Stelle ist per Telefon unter 0911 398 2290 oder per Email unter adipositas.kinderklinik@klinikum-nuernberg.de zu erreichen. Termine werden jeweils dienstags und donnerstags am Nachmittag angeboten. Weitere Informationen erhalten Sie unter https://www.klinikum-nuernberg.de/DE/ueber_uns/Fachabteilungen_KN/kliniken/kinder/sprechstunden/Adipositas-Beratungsstelle.html
Bei Interesse am Bewegungsangebot für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht vom Post SV Nürnberg kontaktieren Sie bitte Frau Gaber telefonisch unter 0911 540 554 765 oder per Email unter gaber@post-sv.de. Das Angebot findet mittwochs von 16:30 bis 17:15 Uhr in der Reutersbrunnenstr. 12 in Nürnberg statt.
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