Wut, Aggression, Trotz – starke Gefühle! Und jetzt?
Wir hatten das Glück, Herrn Dr. Herbert Renz-Polster zu einem brandheißen Thema aus dem Erziehungsalltag befragen zu dürfen. Er ist Kinderarzt, Wissenschaftler, Buchautor und Vater von 4 Kindern.
Wut, Aggression, Trotz – starke Gefühle! Da haben wir Eltern wohl alle sofort eine Situation vor Augen, in der unser Kind außer sich vor Zorn war. Als Erwachsener kann man manchmal die Aufregung der Kinder gar nicht verstehen. Warum reagieren Kinder denn oft so überschäumend?
Überschäumend? Das ist ja das Problem – vom Kind aus betrachtet ist seine Reaktion genauso wenig „überschäumend“, wie die „überschäumende“ Reaktion eines zum Beispiel eifersüchtigen Erwachsenen. In seinem Kopf – bzw. Herz – geht es eben ums Ganze. Setzen wir uns doch in die Perspektive des Kindes hinein: Da lebt man in einer Welt, die man nicht im Griff hat, der man ausgeliefert ist, die übermächtig ist, auf allen Ebenen. Und nun will man endlich mal einen Fuß in die Tür kriegen, die Abläufe ein wenig ordnen und auch mal selber was erreichen. Selber machen, selber die Kontrolle übernehmen! Und dann zerbricht einem dieser schöne Keks in der Hand!
Eltern sind ja häufig unter Druck, den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden. Da muss die ganze Familie funktionieren und es bleibt wenig Raum für unvorhergesehene Auseinandersetzungen. Lassen die sich vermeiden?
Ich glaube nicht. Wenn man bedenkt wie viel freischwebende Zeit Kinder brauchen, wie viel Langsamkeit, wie viel „Flow“, einfach, weil ihr Spiel und ihre Bedürfnisse sich ja nicht nach der Uhr richten und auch nicht nach klar abgesteckten Zielen… Und dann landen sie in einer Welt voller Regeln, voller Pläne. Voller Anforderungen, sich einzupassen in den Erwachsenentakt – also das kann nur teilweise gut gehen. Zum Beispiel, wenn Eltern sich an ihrem Leben freuen und ihnen einigermaßen wohl ist in ihrer Haut, dann lässt sich immer mal wieder der gemeinsame Ausbruch wagen.
Wenn Kinder wütend oder trotzig sind, würde man manchmal selbst am liebsten aus der Haut fahren. Was hilft Eltern in solchen Situationen?
Sich eine Aufgabe stellen – eine „Challenge“ wie man heute sagt. Nämlich zu versuchen, ob sie sich so weit in das Kind hineinversetzen können, um zu verstehen, was durch dessen Augen gerade so gewaltig schiefgelaufen ist. Das kann man, wenn man sich anstrengt. Nein, es macht keinen Sinn, dass ein Kind sich mit seinen läppischen Zielen durchsetzen will, die grünen Socken sind ja genauso warm wie die roten. Nur, für einen kleinen Menschen, der gerade mit der Welt das Thema „Ich“ und „Wirksam-Sein“ verhandelt, stehen die roten Socken für einen Triumph. Der MUSS sein.
Ihre Kinder sind ja mittlerweile erwachsen. Können Sie unseren Eltern Hoffnung machen? Ist das irgendwann rum?
Klar ist das irgendwann rum, und dann freut man sich auf die nächste Runde.
Vielen Dank, für Ihre Antworten, Herr Dr. Renz-Polster. Sie haben damit sicher vielen Eltern neue Impulse gegeben!
Bildnachweis: ©Sebastian Autenrieth, 2016 / © kraftfeld-b.com, 2016 , Kösel Verlag
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