Wann bist du zuletzt durch ein Gebüsch gekrochen? Oder: Unten am Fluss
Ein sonderbarer Sommer neigt sich seinem Ende zu und lässt mich nachdenklich und auch etwas besorgt zurück. Durchgeschüttelt vom Lockdown, neuen Tagesabläufen und großen Herausforderungen für das Familienleben, haben wir versucht, einen Urlaub zu planen, der zu der Verantwortung passt, die wir derzeit alle gemeinsam zu tragen haben. Wir sind ganz in der Nähe geblieben, waren Radfahren im fränkischen Seenland und mit Freunden auf einem zauberhaften Hof mitten in den Weinbergen. Sobald wir uns aus unserer Blase herausbewegten, fühlte es sich oft beinahe an, als hätte es keine Pandemie gegeben.
Es hat mich überrascht, wie leichtfertig sich viele Menschen an den Badeseen ohne Abstand tummelten und uns mit den Masken beim Gang zum Klo oder zur Imbissbude belächelten. Wir alle sehnen uns nach Normalität, aber die Fallzahlen steigen wieder an. Ein kleines Stückchen Stoff, ein wenig mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander sind doch ein geringer Aufwand, wenn die Chance besteht, dass uns das dem gemeinsamen Ziel einen Schritt näherbringt.
Gerade wir Stadtmenschen teilen uns eine begrenzte Anzahl an Grünflächen und es gibt nichts Schöneres, als die letzten warmen Tage im Freien zu verbringen. Warum erschließen wir uns nicht ein kleines Stück Wildnis mitten in den Parks?
Unser liebster Platz zum Herumstreunen sind die Pegnitzauen hinter dem Westbad. Mein Sohn und ich haben dort erst gestern einen Stock flussabwärts treiben lassen, der leider in den Stromschnellen unter der Theodor-Heuss-Brücke auf Grund lief. Heute wollten wir den Versuch mit einem tauglicheren Objekt wiederholen.
Voller Eifer sammelten wir an der Trauerweide lange, grüne Triebe, die dort auf dem Boden zu finden waren. Das würden unsere Taue werden, denn für Flussfahrten verwenden wir nur organische Materialien. Hinter der Brücke haben wir eine kleine Bucht entdeckt, in der haufenweise Stöcke und zerbrochene, fingerdicke Halme des japanischen Staudenknöterichs angespült wurden. Unser Experiment sollte beweisen, dass die hohlen Stämme des Knöterichs besser auf dem Wasser treiben als normales Holz. Nach der akkuraten Auswahl des richtigen Baumaterials verhandelten wir zunächst die Entwicklung der optimalen Knotentechnik für unsere Flöße. Es brauchte einige Neustarts und Korrekturen, weil entweder die Weidenruten zu spröde waren und rissen oder jemand die Konstruktion nicht ordentlich festgehalten hatte und alles wieder auseinanderfiel.
Wir saßen über eine halbe Stunde im Gras, die Sonne warm auf Köpfen und Rücken und waren versunken in unsere Arbeit. Am Wiesengrund waren kaum Menschen zu sehen. Alle hielten großen Abstand voneinander und das hat mich nach den irritierenden Beobachtungen während des Urlaubs sehr gefreut.
Gegen Ende der Bauphase fingen wir schon an uns zu verkünsteln, als der Große darauf drängte, unsere Objekte endlich zu Wasser zu lassen. Allerdings waren wir nicht mehr sicher, ob wir sie wirklich den Stromschnellen überlassen wollten. Bei einer weiteren Überprüfung der Wellen unter der Brücke zauderten wir.
Eine kleine Gänsehaut bekamen wir beim Anblick des für Pegnitzverhältnisse wilden Wassers schon, aber wir wollten natürlich auch wissen, ob unsere Konstruktionen fahrtauglich waren. Wir suchten uns also die perfekte Stelle, um sie dem Fluss zu übergeben. Es gelang es uns kaum, die Flöße in die Strömung zu bewegen, weshalb es einige bange Minuten des Trudelns in kleinen Wirbeln und sogar einen Neustart brauchte, bis endlich beide Gefährte ihren Weg durch die Stromschnellen fanden. Die Wasserfahrzeuge wurden heftig durchgewirbelt und wir rannten am Fluss entlang, um das Ergebnis auszuwerten. Die ganze Aktion war ein Riesenspaß und, was soll ich sagen, alle beide haben die wilde Fahrt bestens überstanden und sind jetzt vielleicht schon längst in Fürth.
Es ist immer wieder so lustig und belebend, uns im Grünen einfach treiben zu lassen. Wir legen uns gerade einfach nicht mehr auf die Wiesen, mit lauter anderen Leuten. Warum auch?
Streune stattdessen mal wieder durch die Gebüsche! Lache über Blätter in den Haaren und schmutzige Hosen. Je tiefer wir uns auf diese Miniwildnis einlassen, desto entspannter kommen wir wieder heraus.
Ich wünsche dir und deinen Liebsten gute Tage. Bleib gesund und halte den Kopf oben. Wir können gemeinsam viel mehr schaffen, als wir denken!
Bildnachweis: Stephanie Mehnert, Christine Dierenbach
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