Minimalistisch, nachhaltig und autofrei: Interview mit einer besonderen 5-köpfigen Familie
Ohne Auto und überhaupt nachhaltig und minimalistisch leben – geht das auch als Familie? Johanna und Daniel aus Fürth zeigen, dass genau das möglich ist. Gerne hätten wir mit ihnen selber gesprochen, aber da gerade ihr viertes Kind zur Welt gekommen ist, sind sie momentan anderweitig beschäftigt. Deshalb nachfolgend ein Interview, das Christof Hermann im Mai 2018 mit ihnen geführt und auf seinem Blog http://www.einfachbewusst.de/ veröffentlicht hat. Ein herzliches Dankeschön an Johanna, Daniel und Christof, dass wir das Interview und die Fotos für unseren Blog verwenden dürfen!
Christof Herrmann: Vor 5 Jahren ward Ihr ein „normales“ Paar mit Kinderwunsch.
Johanna: Richtig, wie die meisten anderen arbeiteten wir in Fulltime-Jobs, besaßen Autos und sehr viel Kram und aßen Tierisches und Ungesundes.
Heute habt ihr drei Kinder und seid minimalistisch, autofrei und vegan unterwegs. Das kann doch nicht sein!
Doch. Wir sind eine gewöhnliche Familie mit drei Kindern unter drei, die freiwillig autofrei, vegan, minimalistisch und von einem – zugegebenermaßen relativ hohen – Teilzeit-Gehalt nebst Kindergeld und Pflegegeld lebt. Alles nur eine Frage des Wollens, der Prioritäten und der Organisation. Falls Dir mal wieder jemand begegnet, der Dinge sagt wie „vegan ist ja ganz nett – aber nicht für Kinder“, „ohne Auto ist nur etwas für Singles“ oder „Minimalismus funktioniert nicht in der Familie“, dann nimm uns gerne als Gegenbeispiel.
Wie kam es denn zu diesem Sinneswandel?
2015 ist unser 4 Wochen alter Sohn gestorben. Seine Zwillingsschwester hat überlebt und ist jetzt eine fröhlich-freche Dreijährige mit leichten körperlichen Einschränkungen. Trotzdem gab es immer wieder Situationen, in deren Verlauf wir nicht sicher sein konnten, unsere Tochter lachend bei uns haben zu dürfen. Diese Zeit hat uns sehr geprägt und verändert und dazu geführt, dass wir unser Leben grundsätzlich überdacht haben. Momentan haben wir neben unserer Tochter noch zwei einjährige Jungs (einen leiblichen und einen Pflegesohn), wobei die Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist. Die Motivation ein minimalistisches, autofreies und veganes Leben zu führen, ist daher in den Kindern zu sehen. Wir wollen als Familie ein Maximum an unbeschwerter freier Zeit haben.
Keep it simple: Das Familienschlafzimmer.
Was bedeutet Minimalismus für Dich und Deine Familie?
Mir geht es beim Minimalismus nicht nur um den materiellen Verzicht, sondern auch um die Philosophie dahinter. Wir besitzen nur wenige Dinge und als fünfköpfige Familie mit Hund kommen wir leicht mit fünf Kommoden aus, Schuhe, Jacken, Bettwäsche und Windelvorrat mit eingerechnet. Wir schlafen in einem selbstgebauten Floor-Familienbett und außer ein paar Küchenschränke und einem kleinen Spieleregal für die Kinder haben wir keine weiteren Aufbewahrungsmöbel. Die Dinge, die wir besitzen, sind ausnahmslos Lieblingsstücke, von der Auflaufform bis zur Zahnbürste. Und das meine ich mit Philosophie: Reduktion ist nur ein Teil des Minimalismus. Wertschätzung der Dinge, die man bewusst behält, ist meines Erachtens ein mindestens genauso großer Anteil.
Euer Auto war also kein Lieblingsstück.
Autofrei zu werden, war da nur eine natürliche Folge. Wir wohnen in der Stadt, die Parkplatzsituation ist eine Katastrophe und der Aufwand drei Kids samt Doppelkinderwagen in und aus dem Auto zu packen ebenfalls. Unser letztes Auto war noch dazu relativ unzuverlässig, was uns die Entscheidung einen Autofrei-Versuch zu starten erleichtert hat. Wir sind nun seit über einem Jahr mit Kinderwagen oder Cargobike unterwegs. Ansonsten ist der Öffentliche Nahverkehr hier im Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen sehr gut ausgebaut. Bisher hatten wir noch keine Situation, in der wir ernsthaft darüber nachgedacht haben, unser Autofrei-Projekt zu überdenken.
Und wie macht Ihr das im Urlaub?
Wir haben Familie in Lindau am Bodensee und zweimal am Tag fährt ein Direktzug von Nürnberg dorthin. Wann immer wir einen Tapetenwechsel brauchen, ab in den Zug und an den See. Letztes Jahr sind wir dann ein größeres Projekt angegangen. Inspiriert von Deinem E-Book sind wir auf dem Jakobsweg von Augsburg nach Lindau gewandert. Die Kinder und das Gepäck haben wir in einen Bollerwagen gepackt und so sind wir einfach losgelaufen … Nicht alles hat so geklappt, wie wir es uns vorgestellt haben. Am 9. Tag wurden wir von einer Biene angegriffen und bei Daniel hat sich aus einem Stich eine schnell aufsteigende Blutvergiftung gebildet. Er musste ins Krankenhaus und wir haben den Weg abgebrochen. Trotzdem war es sicher nicht das letzte Mal, dass wir so eine Tour gemacht haben.
Nun interessiert mich natürlich noch, warum Ihr Euch vegan ernährt?
Daniel ist gelernter Koch. Daher liegt sein Schwerpunkt auf der Ernährung. Vegan sind wir aufgrund der Dokumentarfilme „Cowspiracy“ und „What the Health“ geworden. Grundsätzlich gibt es dafür drei Gründe: 1. Tierleid verhindern. 2. Gesundheitliche Aspekte. 3. Globale Verantwortung. Jeder Veganer hat seine eigene Prioritätenanordnung dieser drei Gründe, meine lautet 2-3-1. Das Leben mit Kids ist wunderbar, aber auch physisch und psychisch herausfordernd. Wir müssen daher gesundheitlich in bestmöglicher Verfassung sein, um den Alltag zu meisten, und da passt eine tierische Ernährung nicht dazu. Noch dazu möchten wir später unseren Kindern nicht die Verantwortung für unsere selbstverschuldeten ernährungsbedingten Erkrankungen zumuten. Das führt auch zu der Frage, welche globale Verantwortung wir haben und in welchem Zustand wir die Erde hinterlassen wollen. Egal ob sich unsere Kids mal zum Veganismus entscheiden oder nicht, wir können zumindest mit gutem Gewissen sagen, dass wir ihnen einen Weg gezeigt haben, die Welt ein bisschen besser zu machen. Beim Punkt Tierleid gibt es nichts zu sagen, was nicht jeder selbst erkennt, der einmal Bilder aus der Massentierhaltung gesehen hat.
Schoko-Brot oder Gemüse-Linsen-Pfanne, das ist hier die Frage.
Was ist das Lieblingsgericht Eurer Kids?
Die ehrliche Antwort lautet Schoko-Brot, ohne Rezept: Brot und veganer Schokoaufstrich.
Minimalistisch, autofrei, vegan und mit einem Teilzeitjob. Müsst Ihr Euch nicht ständig erklären?
Seltsamerweise haben wir kaum negative Erfahrungen gemacht, im Gegenteil: Wir erleben immer wieder, dass wir Menschen animieren, selbst einen Tag auf das Auto zu verzichten. „Ihr kommt heute zu Fuß / mit dem Fahrrad? Eigentlich eine gute Idee, dann machen wir das auch.“ Die Bereitschaft auf das Auto zu verzichten, ist bei vielen vorhanden, meistens scheitert es an Kleinigkeiten und es braucht mehr Vorbilder, die zeigen, dass es doch geht. Genauso ist es beim Minimalismus und Veganismus. Wenn ich erzähle, dass wir mit drei Kindern und Hund auf 80 Quadratmetern und von einem Teilzeit-Gehalt leben, lautet die erste Reaktion meist, dass das unmöglich ist. Nach einem Besuch bei uns haben wir noch alle vom Gegenteil überzeugt. Und wenn wir bei Familienfeiern veganes Essen bestellen, ist es auch schon vorgekommen, dass sich andere anschließen.
Vielen Dank für das Gespräch, Johanna. Wie wäre es zum Schluss noch mit Eurem Lebensmotto?
Ich danke Dir, Christof. Unser Lebensmotto lautet: „Nur weil man es kann, heißt es nicht, dass man es darf.“ Wenn mehr Menschen ohne Ausbeutung der globalen Ressourcen leben, ist genug für alle da.
Das Redaktionsteam vom familienblog.nuernberg möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass eine vegane Ernährung in der Familie u.a. umfassende ernährungsphysiologische Kenntnisse erfordert. Deshalb bitte nicht einfach „drauf-los-veganisieren“, sondern sich zuerst gut informieren – z.B. bei einer entsprechend qualifizierten Ernährungsfachkraft.
Bildnachweis: Privat
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