„Mama, was machst du?“ (Oder: Wie mein Sohn ein Schulkind wurde)
Der große Schritt vom Kindergarten in die Schule ist für alle Kinder eine aufregende Zeit. Es ist der Abschied von lieb gewonnenen Erzieherinnen und Erziehern. Auch die Freundinnen und Freunde, die einen nicht in die Schule begleiten sind nun nicht mehr jeden Tag, wie selbstverständlich, um einen herum. Es warten eine neue Lehrerin und neue Freunde – oder?
Mein Sohn war sich da nicht so sicher. Leider hatte er auch nicht das Glück mit anderen Kindern aus seinem Kinderladen in die Schule zu wechseln. Es gab drei Termine für Probeunterricht, die ihm allesamt schwer zusetzten. Er ist klug und lustig, ich finde es leicht ihn zu mögen.
„Das musst du ja auch sagen, du bist ja meine Mama!“
Ich bin davon überzeugt, dass ich ihn auch so sehen würde, wäre er das Kind einer anderen Mutter, aber ihn hat mein Zureden nicht recht überzeugt. Außerdem hatte er große Angst, den Anforderungen in der Schule nicht zu genügen und ganz allein einer unbekannten Gefahr ausgeliefert zu sein. Mein Mann und ich waren sehr betroffen, weil wir uns immer bemüht hatten, ihn nie einem Leistungsdruck auszusetzen. Woher also kam diese Angst? Kurzentschlossen nahmen wir die Hilfe einer Familientherapeutin in Anspruch, um zu ergründen, wie wir ihn in dieser Situation unterstützen könnten. Es gab insgesamt nur drei Treffen und ein paar hilfreiche Hinweise zu unser Familiendynamik. Vor allem ergab sich ein toller Trick: Unser Großer sollte sich mit seinem liebsten Helden identifizieren. Das ist Loyd, ein Protagonist aus der Abenteuergeschichte von Lego Ninjago. Wie also würde Loyd an die Sache herangehen? Zur Unterstützung schenkten wir ihm einen Anhänger des Helden für seinen Schulrucksack.
Als der große Tag der Einschulung schließlich da war, waren wir alle drei sehr aufgeregt. Die Schüler der jahrgangsgemischten Klasse wurden aufgerufen und folgten der neuen Lehrerin ins Klassenzimmer. Wir Eltern marschierten bang hinterher. Unser Sohn suchte sich einen Sitzplatz neben einem Jungen aus der zweiten Jahrgangsstufe, als hätte er das schon tausend Mal gemacht und lächelte uns zu. Schon am zweiten Tag hatte er eine Freundschaft geknüpft und mit einem ganzen Rudel von Kindern in der Pause Fußball gespielt. Es dauerte nur eine Woche, bis die beiden neuen Freunde die letzten 300 Meter zur Schule allein gehen wollten. Ich blieb besorgt auf dem Gehweg zurück, schlich immer ein paar Meter hinterher und fing mir dadurch eine heftige Rüge meines Sohnes ein:
„Mama, was machst du?“
Etwas peinlich war mir das schon, denn ich hatte mich für außerordentlich unauffällig gehalten. Am Nachmittag desselben Tages erklärte mir mein Sohn, dass er meine Unsicherheit verstände, ich ihm aber ruhig zutrauen dürfe, eine kleine Straße allein zu überqueren. Ich wusste, er hatte Recht. Seither bemühe ich mich, ihn in seiner vollen Größe zu sehen. Er breitet seine Flügel aus und ich lerne jetzt, ihm dafür den Platz zu lassen. Ich hatte nicht erwartet, dass mir das so schwerfallen würde.
Letzte Woche sprach mich eine Erzieherin aus seinem Hort an und schwärmte davon, wie leicht es ihm fällt, Kontakt zu anderen Kindern zu knüpfen und wie umsichtig und engagiert er sich in die Gemeinschaft einbringt. In mir wächst seither ein tiefes Staunen und eine Ehrfurcht vor den Anpassungsfähigkeiten unserer Kinder. Ohne die starren Verhaltensmuster, in denen wir Erwachsenen uns oft verheddern, besitzen sie die Fähigkeit sich täglich neu zu erfinden. Manchmal wachsen sie dabei an ihren Eltern vorbei, die glauben, sie noch immer vor allem Fremden beschützen zu müssen.
https://www.nuernberg.de/internet/jugendamt/erziehungsberatung.html
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