Für einen Jungen oder ein Mädchen?
Wenige Tage vor der Geburt meines zweiten Kindes betrete ich eine Filiale eines Drogeriemarktes. Bevor das Kind auf die Welt kommt, müssen letzte Dinge eingekauft werden. Ich kann keine Nachtlichter finden. Auf meine Frage, wo ich welche finde, folgt eine Frage, die mir jedes Mal aufstößt, auch wenn ich sie schon so oft gehört habe: »Für einen Jungen oder ein Mädchen?«
Diese Frage wurde mir schon bei so vielen Dingen gestellt. Bei so vielen Dingen, bei denen es einfach schnurzpiepegal ist, welches Geschlecht das Kind hat. Ganz nüchtern betrachtet, halte ich folgende zwei Antworten auf eine Frage für ausreichend in dieser Thematik: Wird eine Sache mit den Genitalien betrieben? Wenn nein, ist das Geschlecht nicht entscheidend. Wenn ja, ist es nichts für Kinder. Ich erinnere mich an die vielen hundert ironischen Produktreviews dieser Kugelschreiber, die von der Herstellerfirma wohl nur für Frauen ausgelegt waren. Leider fehlt dem Thema dieser Humor, wenn es um Kinder geht.
Die Sortierung in Geschlechterrollen beginnt sehr früh, wenn die Eltern es zulassen oder sogar wollen. Als ich bei Tilda im Standesamt war, um die Geburtsurkunden abzuholen, saß neben mir eine Familie mit rosa Maxi Cosi, rosa Tuch oben drüber und rosa Schleifchen dran. Viele Situationen verlaufen erwartungsgemäßer, wenn die Eltern sich entscheiden, diesen Quatsch mitzumachen. So wäre meine Tochter bestimmt nicht ihre gesamte Kinderwagenzeit als Junge angesprochen worden, wenn dieser nicht blau gewesen wäre. Die Auswahl beim Kauf von Bademode für unsere Vierjährige könnte viel größer sein. Würden wir uns keine Gedanken machen, ob es fragwürdig sein könnte, »sexy« Triangel-Bikinis oder alles mit Rüschen und Spitze zu kaufen.
Die Aufteilung bestimmt nicht nur blau oder rosa, sie geht viel tiefer und vermittelt den Kindern, was von ihnen zu erwarten ist: Jungs sind Abenteurer, wild, ihr Badezusatz ist von Piraten erobert worden und wenn jemand die Welt retten kann, dann ja wohl sie. Zarte Mädchen bekommen von Anfang an kaputte Körperbilder vorgesetzt, sollen sich in Zurückhaltung üben und dürfen sich höchstens die Farbe des Pferdes auf ihrem Kleidchen aussuchen. Während Jungs Bausteine zum Konstruieren von Baustellen und Sportplätzen zugeteilt bekommen, wird in der Baureihe für Mädchen der Haushalt geübt. Vergesst bitte nie, dass Ihr diese Dinge kauft. Ihr seid dafür verantwortlich, dass dieses Bild letztendlich auch in den Händen und am Körper Eurer Kinder landet. Wenn Euer Kind eine Werbefigur für die SuperRTL-Serie X wird, dann vor allem durch Euch.
Die gute Nachricht
Es gibt Alternativen zu all dem. Nicht in den Läden, in denen die Frage gestellt wird, die mich so verrückt macht. Aber es gibt sie, und zwar in allen Preisklassen. Klar, am leichtesten findet sich Kinderkleidung, die nicht geschlechtsspezifisch ist, in Läden und bei Marken, die moralisch und nachhaltig handeln. Weil dieser Gedanke mit diesen Grundsätzen eng verbunden ist. Aber die teure Neuware muss es nicht sein. Es gibt viele Plattformen, die faire, geschlechtsneutrale Kinderkleidung vermieten. Je nach Zustand kosten die Stücke unterschiedlich viel im Monat und können genauso lange ausgeliehen werden, wie die Kinder reinpassen. Mit ein wenig Glück findet sich auch auf einem Kinderflohmarkt ein Stand mit guter Auswahl. Oder der Stand fragt gleich vorneweg, welches Geschlecht das Kind hat, dann weiß man auch Bescheid. Und Second Hand gibt es auch noch. Online wie offline.
Der große Kniff an dieser Sache? Bekommt Ihr nach einem Jungen dann ein Mädchen, habt Ihr dem Kapitalismus ein Schnippchen geschlagen. Denn letztendlich existiert diese gesamte Aufteilung doch nur, damit alle doppelt so viel konsumieren müssen als eigentlich nötig.
Bildnachweis: Wolfgang Riedl
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