Häusliche Gewalt hat viele Gesichter
Was hinter verschlossenen Türen passiert ist nicht immer laut oder sichtbar.
Gewalt in der Partnerschaft kann sich in Schlägen zeigen, aber auch in Kontrolle, Drohungen, Isolation oder Erniedrigung. Für betroffene Frauen ist es oft schwer, Hilfe zu suchen. Aus Angst, Scham oder Sorge um die Kinder. Genau da setzt die Arbeit der Beratungsstelle des Frauenhauses in Nürnberg an: Hier bekommen Betroffene Unterstützung, Orientierung, Schutz und vor allem ein offenes Ohr. Vertrauliche Gespräche helfen Frauen, ihre Situation einzuordnen, neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und wieder Vertrauen in sich selbst zu fassen. Die Sozialpädagogin Stefanie Walter arbeitet seit 25 Jahren in diesem Bereich. Wir haben mir ihr darüber gesprochen, was helfen kann, den Kreislauf der Gewalt zu unterbrechen.
43 Prozent aller Frauen in der EU haben bereits psychische Gewalt durch einen Partner erfahren, das hat ein Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte gezeigt. Wobei die Dunkelziffer hier sehr hoch sein dürfte. Welche Formen von Gewalt begegnen Ihnen am häufigsten und welche werden oft unterschätzt?
Wenn Gewalt in einer Partnerschaft im Spiel ist, dann ist das fast nie nur eine Form von Gewalt. Die Frauen, die zu uns kommen, erleben meistens psychische und nicht selten auch körperliche Gewalt. Hinzu kommen ökonomische Gewalt, also zum Beispiel das Vorenthalten von Geld oder erzwungene Schulden und soziale Gewalt, bei der Kontakte gezielt eingeschränkt oder verboten werden, was die Abhängigkeit vom Partner noch verstärkt. Sexualisierte Gewalt wird oft erst im Laufe der Gespräche zum Thema, entweder, weil es den Frauen peinlich ist oder weil viele auch denken, das sei normal.
Wie können sich Betroffene an Sie wenden?
Kontakt ist telefonisch, über eine datensichere Onlineberatung oder per E-Mail möglich. In diesem Zusammenhang kommt auch die sogenannte digitale Gewalt ins Spiel, das Überwachen des Handys, Tracking etc. Viele Frauen werden über ihre Geräte überwacht und wissen das gar nicht. Wir erklären deshalb auch, wie sie damit umgehen können und zeigen, welche Wege es gibt, sich hier zu schützen. Hier dran zu bleiben ist allerdings eine Herausforderung für uns. Die Möglichkeiten auf diesem Gebiet verändern sich rasant. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang aber, dass wir immer mehr Frauen haben, denen eine KI wie ChatGPT geraten hat, eine Beratungsstelle aufzusuchen.
Wie reagieren Sie auf die häufig gestellte Frage: „Warum geht sie nicht einfach?“
Für das Umfeld ist es oft schwer zu verstehen, warum eine Frau nicht einfach handelt oder geht. Aber oft steckt sie in einem regelrechten Teufelskreis: Psychische Gewalt kann das Selbstwertgefühl systematisch zerstören, die Frau wird kleingehalten und kontrolliert. Täter isolieren ihre Partnerinnen häufig gezielt vom sozialen Umfeld, sodass wichtige Unterstützung wegbricht. Gleichzeitig kommen Ängste hinzu: vor Eskalation, vor finanziellen Problemen, vor der ungewissen Zukunft, auch was die Kinder angeht. All das wirkt überwältigend, gerade in einer ohnehin belastenden Situation. Mit guter Aufklärung und Unterstützung kann der Weg gelingen, aber es braucht Zeit, Mut und verlässliche Begleitung. Jede Frau braucht deshalb ihren eigenen Zeitpunkt und viel Mut, diesen Schritt zu gehen. Manchmal dauert das einfach und das sollte man respektieren und sie so gut wie möglich dabei unterstützen.
Wie erleben Sie die erste Kontaktaufnahme von Frauen? Was brauchen sie in diesem Moment am meisten?
Ernstgenommen zu werden kann der erste Schritt sein, um aus dem Teufelskreis der Gewalt auszubrechen, neue Perspektiven zu entwickeln und Unterstützung anzunehmen. Dieser Moment schafft Hoffnung und ebnet den Weg für Veränderung. Manche Frauen befinden sich noch im Sortierstadium. Sie spüren: „Das tut mir nicht gut“, haben aber noch nicht klar erkannt, dass es sich um psychische Gewalt handelt. Hier helfen wir, das einzuordnen und gemeinsam nächste Schritte zu überlegen. Andere sind schon so weit, dass sie raus wollen und einen klaren Schnitt machen wollen. Viele sind auch bereits getrennt, doch die Gewalt endet nicht automatisch mit der Trennung. Manchmal wird es sogar noch schlimmer. Dann geht es darum: Wie kann ich mich und meine Kinder schützen?
Wir begleiten Frauen oft über lange Zeit, auch durch Gerichtsverfahren. Das ist rechtlich häufig schwierig, weil beim Umgangsrecht häusliche Gewalt oft zu wenig berücksichtigt wird. Die Frage lautet dann: Was würde helfen, diese belastende Situation erträglicher zu gestalten?
Die Istanbuler Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats, der Staaten verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen. Sehen Sie in Deutschland hier Fortschritte?
Zunächst muss man sagen: Psychische Gewalt ist dabei noch immer die große Lücke. Manipulatives Verhalten, das schwerwiegende Folgen für die Betroffenen hat, wird oft verharmlost oder nicht ernst genommen. Kurz vor dem Regierungsbruch wurden aber bereits Pläne zur Reform des Familienrechts erarbeitet, die nun wieder aufgegriffen werden sollen. Deutschland muss hier tatsächlich etwas verändern, wir hinken hier anderen Ländern hinterher. Einige Vorschläge könnten echte Verbesserungen bringen, andere dagegen wirken noch nicht ausgereift. Wir sind vorsichtig optimistisch und hoffen, dass sich da noch etwas tut.
Was kann man machen, wenn man den Verdacht hat, dass jemand von häuslicher Gewalt betroffen ist?
Wichtig ist vor allem: Nicht den Täter direkt konfrontieren, das kann gefährlich werden! Stattdessen sollte man die Frau alleine behutsam und einfühlsam ansprechen, signalisieren, dass man ihr glaubt und helfen möchte. Wenn man Gewalt mitbekommt oder hört, sollte man nicht zögern, die Polizei zu rufen. Auch kann es helfen, niedrigschwellige Hilfsangebote sichtbar zu machen und Nummern von Kontakt- bzw. Beratungsstellen weiterzugeben.
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