Das „Klopapier-Care-Paket“
Ja, ich weiß. Ein „Klopapier-Care-Paket“ klingt ziemlich komisch. Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass ich meinem Opa so etwas mal schicken werde, hätte ich die Person wahrscheinlich ungläubig angesehen und gelacht. Aber wer hätte letztes Jahr mit einer Pandemie gerechnet? Und mit Leuten, die dadurch panisch Klopapier horten werden? Mein Opa und ich zumindest nicht.
Wir befanden uns gerade in der Anfangszeit der Ausgangsbeschränkung, als ich beschloss ihn mal wieder anzurufen. Schon vor dieser schwierigen Zeit waren Besuche leider immer etwas Besonderes, denn meine Großeltern wohnen in Hessen und mit dem Auto ist man mindestens zweieinhalb Stunden unterwegs.
Ich rief ihn also an, um mich zu erkundigen, wie es ihm geht. Auch wenn er mit seinen 85 Jahren immer noch jeden zweiten Tag bis zu 40 km Fahrrad fährt und an sich fit ist, gehört er allein aufgrund seines Alters zur Risikogruppe. Dazu kommt noch eine seltene Blutkrankheit, wodurch er regelmäßig Bluttransfusionen braucht und Medikamente nehmen muss. Ich denke jeder wird nachvollziehen können, dass ich mir gerade durch die aktuelle Situation Sorgen um ihn mache. Wie immer freute er sich sehr, dass ich mich nach ihm und seiner Lebensgefährtin erkundigte. Während unseres Telefonats erfuhr ich von ihm, dass sich für die Beiden nicht viel verändert hat und es ihnen gut geht. Dann erwähnte er, dass er gerade vom Einkaufen kam und es leider weder Klopapier noch Mehl zu kaufen gab. „Oh Opa, da muss ich dir wohl ein Klopapier-Care-Paket schicken“ sagte ich und meinte es eher als Witz.
Mein Opa reagierte wie immer und lehnte das Angebot freundlich ab. Ich denke es ist für ihn, und wahrscheinlich für viele andere ältere Menschen, unangenehm nach Hilfe zu fragen. Das kann ich nachvollziehen, denn gerade, wenn man älter wird möchte man vielleicht solange wie möglich unabhängig von Anderen leben und sich versorgen können. So wie man es jahrelang zuvor getan hatte.
Er begann zu erzählen, dass der Begriff „Care-Paket“ noch aus der Kriegszeit kommt. Im zweiten Weltkrieg haben er und seine Eltern Care-Pakete von Cousinen aus der Schweiz und aus Amerika bekommen, da es damals sehr schwierig war an Nahrungsmittel zu kommen. Da wurde ich hellhörig. Für mich wirkte der Begriff viel jünger und ich hätte niemals geahnt, dass mein Opa schon als Jugendlicher eine gewisse Zeit auf diese Art von Hilfe angewiesen war. Mir gefiel der Gedanke ihm so ein Paket zu schicken immer mehr und am Ende unseres Telefonats hatte ich den Entschluss gefasst. Ich schicke meinem Opa ein „Klopapier-Care-Paket“.
Direkt nach dem Telefonat kontaktierte ich meine Geschwister und meine Mutter und erzählte ihnen von meiner Idee. Erstens weil ich finde, dass es noch viel schöner ist, wenn alle zusammen etwas schenken und Zweitens, weil ich als Studentin nicht wirklich viel Geld zur Verfügung habe und ich mehr als nur ein paar Rollen Klopapier verschicken wollte. Alle waren begeistert von der Idee und überwiesen mir sofort Geld. Da es meine Idee war, wollte ich das Paket zusammenstellen und anschließend verschicken. Zufälligerweise waren es auch nur noch ein paar Tage bis Ostern, was das Geschenk noch wunderbar abrundete.
Gleich am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg, um den Inhalt des Paketes einzukaufen. Ich kaufte eine Osterkarte, Klopapier, Unmengen an Ostereiern und Schokolade, Mehl und Milch, Eierlikör und noch andere Süßigkeiten. Um meinen Opa eine noch größere Freude zu machen und seine Erinnerungen aufleben zu lassen, kaufte ich noch Toblerone und Kaugummis, um an die früheren Care-Pakete aus Amerika und der Schweiz zu erinnern.
Endlich kam der Tag, an dem das Paket ankam. Dank Sendungsverfolgung im Internet wussten wir alle sofort Bescheid. Irgendwie war ich aufgeregt und gespannt auf die Reaktion von meinem Opa. Ich liebe es Überraschungen zu planen und machen, aber tatsächlich war das die erste Überraschung in meinem Leben für meinen Opa.
Als mich jedoch mein Opa am nächsten Tag anrief, um sich zu bedanken, war ich diejenige, die überrascht werden sollte. Denn er erzählte mir, dass fast zeitgleich mit dem Paket von uns auch ein Brief von meiner Oma ankam. Das mag vielleicht erstmal nach nichts Besonderem klingen, aber meine Oma hat eine schwere Form der Demenz, durch die sie nicht einmal mehr sprechen kann und liegt mittlerweile bettlägerig im Pflegeheim. Wie konnte sie also einen Brief schreiben? Es stellte sich heraus, dass sich tatsächlich eine Pflegerin die Zeit genommen hat, um im Namen meiner Großmutter einen Brief zu schreiben. Einen Brief, in dem die Pflegerin beschrieb wie es Oma geht, dass wir uns keine Sorgen machen müssen und sie sich gut um sie kümmern bis wir sie endlich mal wieder besuchen können. Meinem Opa und mir fehlten die Worte und wir weinten gemeinsam vor Freude und Trauer am Telefon. Gerade die Pfleger haben in dieser Krise mehr als genug zu tun und trotzdem nahm sich diese Frau Zeit um uns als Angehörigen Mut zu machen.
In dem Moment war ich seltsamerweise dankbar für die aktuelle Situation. Ohne diese Pandemie hätte ich meinem Opa vielleicht niemals so ein Geschenk gemacht und noch einmal Geschichten aus seiner Jugend gehört. Und durch diese Pandemie ist mir noch bewusster geworden, was Pfleger/innen alles leisten und wie relevant sie für so viele Menschen sind. Ich hoffe diese Zeit hat auch andere Familien mehr zusammengebracht, ich zumindest fühle mich komischerweise seitdem meinem Großvater noch näher als früher.
Bildnachweis: Klix, rawpixel
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