„Arbeiten in anderen Zeiten“ – ein Einblick durch den kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt
Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (kda) bietet normalerweise Seminare und Tagungen zu arbeitsweltlichen Themen an. Die Mitarbeitenden aus ganz Bayern, von denen auch rund 15 in Nürnberg in der Zentrale arbeiten, gehen in Betriebe, halten Kontakte zu Betriebsräten, Führungskräften oder Azubis. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? Veranstaltungen und Besuche sind abgesagt, aber die Kontakte laufen auf neuen Kanälen. „Wir haben unsere Angebote im März komplett umgekrempelt“, so Referentin Hanna Kaltenhäuser.
Aus dem Home-Office wurde ein Arbeitsseelsorge-Telefon gestartet, das wochentags besetzt ist und auch angenommen wird. Dort sprechen Menschen zum Beispiel über finanzielle Probleme wegen Kurzarbeit, bei der Betreuung von Kindern im Home-Office oder Konflikte mit den Vorgesetzten. Das Telefon ist unter der Nummer 0911- 43100 200 werktags von 11 bis 14 und von 16 bis 19 Uhr besetzt.
Eine weitere öffentliche Plattform, die das „Arbeiten in anderen Zeiten“ zum Thema hat, ist die gleichnamige Reihe auf der Internetseite des kda (www.kda-bayern.de/arbeiten-in-anderen-zeiten/) Dort erscheint seit 30. März an jedem Werktag die Geschichte eines Menschen und wie er oder sie in der Arbeit mit der Corona-Krise umgeht. „Die Leute schildern mir oder meinen Kolleg*innen, was sich an ihrer Situation verändert hat, wie sie mit Höhen und Tiefen zurechtkommen und was ihnen hilft, die Herausforderungen zu meistern“, erzählt Kaltenhäuser, die das Projekt koordiniert.
Die Webdesignerin produziert plötzlich Mund-Nasen-Schutz, die Buchhändlerin fährt ihre Bücher mit dem Rad aus oder es gibt Schlagzeug-Unterricht per Skype. „Ich führe sehr interessante Gespräche. Die Menschen gehen praktisch alle sehr kreativ mit der Situation um, lassen sich auf neue Techniken und Wege ein und entwickeln Ideen auch für die Zeit nach der Corona-Krise“, beschreibt Kaltenhäuser. „Wer das liest, kann sich bestimmt auch im einen oder anderen wiederentdecken und es macht auch Mut zu lesen, welche Lösungen andere finden“, ist sie überzeugt.
Zur gleichen Zeit startete der kda unter anderem zusammen mit der Initiative „Rechte statt Reste“, der Diakonie Bayern, verdi Bayern und der Katholischen Betriebsseelsorge eine Petition auf Change.org, die monatlich einen Corona Zuschlag von 100 Euro für arme Haushalte fordert. Bisher haben sie über 1000 Menschen unterzeichnet, und sie wird von prominenten Sozialethikern wie Christoph Butterwegge oder Franz Seegbers unterstützt. Auch hier haben bereits weit über 100 Betroffenen die Möglichkeit genutzt, online über ihre Situation als Hartz-IV-Empfänger in der Corona-Krise zu berichten. „Die Tafel fehlt mir jede Woche. Nach 2, maximal 3 Wochen ist der Monat rum bzw. der Kühlschrank leer, “ beschreibt einer die existenzbedrohende Lage. www.change.org/CoronaZuschlag
Auch Nermin Kaya hat ihre Geschichte im Rahmen der Reihe „Arbeiten in anderen Zeiten“ erzählt. Sie ist 44 und Besitzerin eines Lebensmittelgeschäfts mit Imbiss sowie einer Bäckerei.
„Wenn ich untergehe, bevor das Geld kommt, nützt die Soforthilfe nicht mehr viel.“
Die Krise trifft uns als Familienbetrieb hart. Es kommen zu wenig Kunden. Unsere beiden Geschäfte liegen hier in einer Gegend mit vielen Ämtern und Büros – die sind nun alle im Home-Office. Auch die Sprachenschule in unserem Haus ist zu, da kamen immer viele Teilnehmer zum Mittagsessen zu uns. Auch Touristen gehörten zu unserer Kundschaft. Das alles fehlt uns jetzt.
Zwei Wochen lang mussten wir ganz schließen, denn es hat einfach nichts mehr gebracht. Wir mussten viele Lebensmittel zur Caritas bringen, bevor sie verderben. In dieser Zeit haben wir uns gesagt, wir ruhen uns einmal richtig aus, stärken das Immunsystem.
Wir machen sonst sehr wenig Urlaub im Jahr. Ein Vorteil in diesen zwei Wochen war, dass wir alle Zuhause waren, auch unsere beiden Kinder. Dass wir morgens zusammen frühstücken und auch abends alle zusammen essen, kam vor Corona nur drei-, viermal im Monat vor. Das hat unserer Familie jetzt mal gutgetan.
Mein Mann und ich haben für beide Geschäfte direkt am Anfang der Krise Soforthilfen beantragt. Für das Lebensmittelgeschäft haben wir 5.000 Euro bekommen, für die Bäckerei aber noch nichts.
Danach haben wir gehört, dass die Soforthilfe auf 9.000 Euro gestiegen ist. Auch das haben wir beantragt, warten aber noch auf eine Antwort. Mit der Soforthilfe kommst du allerdings sowieso nur einen Monat über die Runden. Ich musste schon von meinem privaten Geld Einlagen machen.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Unterstützung in Deutschland besser. Aber es müsste schneller gehen. Wenn ich untergehe, bevor das Geld kommt, dann nützt mir die staatliche Soforthilfe nicht mehr viel. Auch Kurzarbeitergeld für unsere Beschäftigten haben wir noch nicht bekommen.
Wer hätte gedacht, dass wir mal so eine Krise erleben? Ich bin hier in Deutschland aufgewachsen, habe nie Krieg, Armut oder etwas Ähnliches erlebt. Jetzt gibt es Phasen, wo ich wirklich Angst bekomme. Mit der Bäckerei halte ich das bestimmt nicht sehr lange aus. Höchstens drei bis vier Monate. Hier im Lebensmittelmarkt könnte ich länger durchhalten, denn die Miete ist hier niedriger.
Aber insgesamt bin ich noch optimistisch und denke: Wir kommen da schon heil wieder raus.
Bildnachweis: kda Bayern, Adobe Stock
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